Wenn Michael Nitschke, Betriebsleiter der EVAG, in seinen alten Archiven blättert, gibt es immer wieder etwas zu entdecken. Wo wir nur alte Häuser oder Bahnanlagen sehen, sieht er klitzekleine Einzelheiten und macht einen spannenden Exkurs daraus.
Die gerade abgerissene Fußgängerbrücke über den nördlichen Schmidtstedter Knoten war Anlass, mal wieder in alten Unterlagen zu kramen. Zu sehen auf unserem Bild ist die alte Kreuzung, die Gleise kommen von links von der alten Flutgrabenbrücke, die sich genau in der Flucht der dann gebauten Fußgängerbrücke befand, quasi in Verlängerung der heutigen Kurt-Schumacher-Straße.
Das Bild entstand kurz vor dem Abriss der im Bild sichtbaren Gebäude, links das alte Wannenbad und rechts die alten Wohnhäuser zur Thälmannstraße hin. Der Zustand der alten Gleise der damaligen Linie 4 deutet schon auf die unmittelbar bevorstehende Einstellung der Straßenbahn hin. Die Fahrleitung sieht um nichts besser aus, die im Bild erkennbaren dunklen Stellen sind Fahrdrahtklemmen, die zur Reparatur vor allem nach Defekten verwendet werden, wenn Stücke ersetzt werden müssen. Und die im Bild rechts zu sehenden beiden Fahrdrahthalter gehören zur offenbar schon außer Betrieb genommenen Obuslinie nach Daberstedt. Erstaunlich dagegen ist der spärliche Individualverkehr, zu dieser Zeit war die Kreuzung eigentlich permanent zugestaut. Aber vielleicht ist das Bild an einem Sonntagvormittag 1973 aufgenommen worden…

Diese Postkarte ist von der Aufnahme her ziemlich genau zu datieren: 1967 oder 1968. Gerade ist die Eisenbahnmagistrale in Richtung Halle/Leipzig elektrifiziert worden – siehe Fahrleitungsmasten, andererseits haben die Reko-Reisezugwagen der Reichsbahn noch keine EDV-Nummern, die Ende 1968 bei allen neueren Reisezug- und Güterwagen eingeführt und angeschrieben wurden, immer unter dem DR-Symbol und daher gut zu erkennen. Und erkennbarerweise ist das auf den abgebildeten Wagen nicht so.
Die sichtbaren Fahrzeuge versprühen den Charme der 60er-Jahre, sowohl die Gothawagen auf der Linie 2 zum Stadtpark wie auch die spöttisch „Genickschusswagen“ genannten Reisezugwagen, die auf den Untergestellen alter Abteilwagen aufgebaut waren.
Die neuen, leichteren Wagenkästen aus Stahl statt Holz führten zu einer Verschlechterung der unveränderten Federung der Fahrgestelle. Und da die Rückenlehnen der Kunststoffledersitze eigentlich zu niedrig waren, gerieten längere Fahrten in den Wagen zur Tortur. Die Ausmusterung dieser Wagen, die in vielen Personenzügen liefen und deren große Schiebetüren an nur einem Wagenende markant waren, begann Mitte der 80er-Jahre, aber ein Teil erlebte sogar noch das Zeitalter der DB AG Anfang der 90er.
Ältere Zeitgenossen werden den unverwechselbaren Geruch nach Bohnerwachs, Linoleum, kaltem Zigarettenrauch und Urinstein der nicht sonderlich einladenden Toiletten noch in Erinnerung haben. Das alles ist schon so lange her.

Früher war es nicht leicht, die Kaufmannskirche per Straßenbahn zu umrunden. Grund war das dahinter stehende Pfarrhauses, das auf diesem kolorierten Bild vom Anfang des 20. Jahrhunderts zu sehen ist. Man kann erkennen, dass das westliche Gleis das ältere ist, das östliche kam erst mit dem zweigleisigen Ausbau der Strecken in den 20er-Jahren hinzu und ist demzufolge nicht auf diesem historischen Bild zu sehen.
Ein älterer Erfurter konnte das Jahr des Abrisses des Pfarrhauses und den Umbau der Gleisanlagen zur heute noch vorhandenen, östlichen doppelgleisigen Anlage beisteuern und das möchten wir Ihnen, geschätzte Leser, nicht vorenthalten: Das Pfarrhaus wurde Ende 1965 abgerissen und die Gleisanlagen entstanden 1966 neu. Mit einer bis an die Gleisanlagen heranreichenden Haltestelle, die es heute nicht mehr gibt.

Ein Bild vom internationalen Jugendtreffen 1955 in Erfurt, bei dem mit allem, was rollen konnte, seitens der EVB die Teilnehmer durch die Stadt zu befördern waren. Hier sieht man vor dem Erfurter Hof zwei Ammendorfer Triebwagen von 1930 auf der Linie 4 und dahinter einen neuen H6-Bus – und natürlich beachtliche Menschenmassen. Die Beflaggung des Hotels entsprach dem Zeitgeist, denn solche Veranstaltungen waren mit der üblichen Propaganda verbunden. Und noch nebenbei sind im Bild die damals verwendeten schwarz-gelben Verkehrszeichen für Fußgängerüberwege zu sehen, die überwiegend im Dunkeln beleuchtet waren und damit gut zu erkennen.

Mehr über Michael Nitschke und die Aufgaben eines Betriebsleiters lesen Sie hier.
Text: Michael Nitschke
Fotos: EVAG-Archiv