
Michael Nitschke lacht auf meine Frage, was ein Betriebsleiter bei der EVAG so macht. „Einer muss der Böse sein“, sagt er. Wieso böse? Ich bin leicht irritiert. Geduldig erklärt er es mir: „Als Betriebsleiter ist man dafür verantwortlich, einen sicheren Betriebsablauf zu gewährleisten. Auch die Planung und der Bau von Betriebsanlagen, die Beschaffung von Fahrzeugen gehören in sein Ressort. Alle Anlagen und Fahrzeuge müssen die Sicherheitsauflagen erfüllen.“ Da muss man schon einiges im Blick haben, schließlich ist es der Betriebsleiter, der zur Verantwortung gezogen wird, wenn Unfälle aus eigenem Verschulden der Verkehrsbetriebe passieren. Was so viel heißt wie: Betriebsleiter stehen eigentlich immer mit einem Bein im Knast.
Das erklärt vielleicht auch die Strenge, mit der Betriebsleiter auf die Einhaltung von Richtwerten und Normen pochen. Das ist auch bei Michael Nitschke nicht anders. Das mag auf den einen pedantisch wirken, ist aber notwendig. Schließlich kann so ein Verkehrsunternehmen nur funktionieren, wenn alles genau geregelt ist. Nur wenn alle Rädchen im Getriebe gut geölt sind und genau zur richtigen Zeit ineinandergreifen, läuft es. Deshalb die Exaktheit und Genauigkeit, die die Kollegen der EVAG auszeichnet.
Trotzdem ist er ein Netter. 🙂 Wenn er wollte, könnte er aus diversen Regelwerken und Paragraphen zitieren, ohne nachzudenken. Macht er aber nicht, oder nur, wenn es wirklich sein muss. Seit den 80er-Jahren ist er bei der EVAG, der damaligen EVB. Er kennt die Verkehrsbetriebe aus dem Eff Eff. Michael Nitschke hat nicht nur ein unglaubliches Wissen rund um Betrieb und Technik, auch die Historie ist sein Hobby.
Denn er ist derjenige, der unseren Blog regelmäßig mit uralten Fotos und Geschichten rund um den Nahverkehr in Erfurt versorgt – das kommt bei unseren Lesern sehr gut an. Viele seltene Schätze hat er in seinem Fotoarchiv, vieles davon ist längst digitalisiert, nur wenige Fotos stehen noch in Aktenordnern. Zu kostbar sind die alten Aufnahmen, die teilweise noch aus den 1880er-Jahren stammen.

Wenn einer wissen will, wann in Erfurt die erste Pferdebahn fuhr, wo die Linie langführte und wie die Bahnen gekennzeichnet wurden, nämlich mit Farben, dann ist Nitschke der richtige Mann. „Warum eigentlich mit Farben?“, frage ich ihn. „Weil viele Leute nicht lesen konnten, deshalb gab es zur Orientierung Farben. Die rote fuhr von der Flurgrenze am Johannesplatz über Anger und Hochheimer Straße bis zum Ausflugslokal „Flora“. Die grüne Linie verlief von der Post am Anger bis zum Schießhaus. Und die gelbe Linie – sie wurde im August 1883 eingerichtet – verband Andreastor und Hauptbahnhof miteinander“, erklärt er.
Stundenlang könnte man ihm zuhören, denn er präsentiert nicht nur reines Faktenwissen, sondern auch so manches Histörchen am Rande – natürlich ganz beiläufig, gern auch mit einer Prise Ironie. So ist er halt. Es macht Spaß, ihm zuzuhören, erweitert den eigenen Horizont. Er weiß, warum die Stadt sich 1883 den Vorläufern des heutigen Nahverkehrs öffnete, wann die ersten Haltestellen eingerichtet wurden und warum sich der einfache Mann die Tour mit der Pferdebahn nicht leisten konnte, warum der 1. Weltkrieg auch für die Straßenbahn gravierende Veränderungen mit sich brachte und wie viel Improvisationstalent zu DDR-Zeiten gefragt war.
Vielleicht, weil er sich nicht nur für Fakten interessiert, sondern auch gern hinter die Kulissen schaut, wissen will, warum etwas so und nicht anders ist. Eine Maxime, die sich durch sein ganzes Leben zieht.
In seiner Freizeit lernt er gern andere Länder kennen, und zwar richtig, nicht nur durch die rosarote Touristenbrille. Wandert durch den Himalaja, plaudert mit den Newar, trinkt Buttertee und erfährt dabei viel über die Menschen, ihr Leben in Nepal. Vom Annapurna-Massiv schwärmt er noch heute. „Es ist über 8000 Meter hoch und eine spektakuläre Kulisse für einen Sonnenaufgang, allerdings nur, wenn man bereit ist, um 5.30 Uhr im Basiscamp aufzustehen“, erzählt er.
„Wer einmal dort war, sieht all das, mit dem wir uns hier umgeben, mit ganz anderen Augen“, so der Mann des Nahverkehrs. Und das ist er wirklich. Jeden Tag fährt er mit der Straßenbahn, drängt sich zur Rushhour mit den anderen Erfurtern in der Stadtbahn-Linie 3, die zum Urbicher Kreuz fährt. „Man muss das Ohr an der Masse haben, nur so erkennt man, wo es hakt“, sagt er. Wer weiß, vielleicht sitzt er bei Ihrer nächsten Tour ja neben Ihnen. Mit etwas Glück erzählt er Ihnen ein Histörchen aus dem Erfurter Nahverkehr.
Fotos: Steve Bauerschmidt
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