Historie ist sein Ding, erst recht, wenn es um alte Straßenbahnen und Busse geht. Für uns kramt Michael Nitschke, Betriebsleiter der EVAG, in seinem Archiv. Und zaubert in diesem Bericht alte Fotos von Obussen hervor, deren Betrieb eine ganz besondere Pflege mittels eines ganz besonderen Mercedes-Lasters brauchten …
Oberleitungsomnibus, O-Bus, Obus, Trolleybus, Trolley oder gleislose Bahn – ganz schön viele Schreibweisen für ein und dasselbe Verkehrsmittel. Von 1948 bis 1975 sorgten die Busse mit Elektromotor und Oberleitung auch in Erfurt zuverlässig für reibungslosen Verkehr, bis sie letztendlich von Straßenbahn und Bus (ihren nahen Verwandten) ersetzt wurden.

Obusse waren zuverlässig, günstig im Unterhalt, brauchten weder kontingentierten Diesel noch aufwendige Schienenstränge. Ihr Problem war auf Dauer, dass sie weniger Passagiere als Straßenbahnen befördern konnten – ihr Nachteil gegenüber „normalen“ Bussen lag in den aufwendigen Oberleitungen, die sie für die Stromaufnahme brauchten.
Und genau da lag auch noch ein weiterer Aspekt – die Gefahr eines Stromschlags…

Denn: Im Betrieb der Obusse stellte sich im Winter die Vereisung der Fahrleitung als Problem heraus, insbesondere deshalb, weil bei fehlendem Rückleiter ein Obus zwar durch die Reifen isoliert war, aber ein einsteigender Fahrgast als Überbrücker der Isolation einen elektrischen Schlag bekommen konnte. Die deshalb heute bei Obussen vorgeschriebene doppelte Isolation (oder eine andere galvanische Trennung) war damals nicht Stand der Technik. Also mussten Vorkehrungen getroffen werden, um dieses Isoliertstehen zu vermeiden.
Der Fahrer wurde durch eine Hupe, Stromhupe genannt, gewarnt, dass sein Fahrzeug isoliert steht und er, nachdem er mit geschlossenen Beinen aus dem Fahrzeug gesprungen ist, mittels einer Eisenstange eine Überbrückung zur Erde herstellen konnte. Diese Hupe war recht laut und eindringlich und auch für die Fahrgäste gut vernehmbar. Sie ertönte des Weiteren, wenn eine der Stangen entgleist war und ist vielleicht von daher noch dem einen oder anderen älteren Mitbürger vertraut.
Zur Enteisung der Oberleitungen erhielt 1958 ein alter Turmwagen Stromabnehmer und eine Fettschmieranlage für graphithaltiges Fett, das die Anhaftung des Eises an der Fahrleitung und die Funkenbildung verhindern sollte.

In den 30er Jahren war ein Mercedes-Lkw-Fahrgestell beschafft worden. Offenbar hatte er den Krieg einigermaßen überstanden, denn wir sehen ihn auf einem Foto in der Trommsdorffstraße 1947 bei Montagearbeiten der neuen Obusfahrleitung – der schon seit Jahrzehnten auf einem anderen Fahrzeug im Einsatz stehende Holzaufbau war im selben Jahr montiert worden. Der damals allgegenwärtige Reifenmangel führte dazu, dass die Hinterachse ohne Zwillingsbereifung auskommen musste. Die Montage der Fahrleitung erfolgte übrigens vollständig in eigener Regie, da dafür keine Firmen als Auftragnehmer zur Verfügung standen.
Übrigens: Der alte Turmwagen mit den Stangen wurde Mitte der 60er Jahre ausgemustert, von da an wurde in Raureifnächten wie bei der Straßenbahn einfach durchgefahren, um Anhaftungen an der Fahrleitung zu vermeiden.