Wer von Erfurt durchs schöne Ilmtal nach Kranichfeld fährt, staunt. Das beschauliche Städtchen hat kaum mehr als 3.000 Einwohner, dafür aber zwei stattliche Burgen. Auf dem rechten Berghang thront – von Erfurt aus kommend – das Oberschloss, links die Niederburg. Beide entstanden im 12. Jahrhundert. Aber warum hat die kleine Stadt an der Ilm zwei Burgen?

Seit Mitte der 1990er-Jahre wirbt Kranichfeld mit dem Slogan Zweiburgenstadt. „Dabei hatten wir eigentlich mal fünf, denn Kranichfeld hatte strategische Bedeutung, immerhin kreuzten sich hier verschiedene Handelsstraßen“, sagt Thomas Schiffer. Seit 1994 kümmert er sich als Schlossverwalter um das Oberschloss, das ohne Frage die größte und bedeutendste Burg rund um Kranichfeld ist.

Angestellt ist er bei der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten. Sogar sein Büro hat er in der einst romanischen Anlage, die nach 1530 im Stil der sächsischen Frührenaissance umgebaut wurde. „So romantisch wie mancher denkt, ist es allerdings nicht. Mein Schreibtisch steht in der Vorburg, in einem sanierten Gebäude. Das ist nicht wirklich spektakulär“, lacht er. Allerdings gibt es doch noch einige Parallelen zum Mittelalter, denn die Aufgaben des Schlossverwalters unterscheiden sich nicht so sehr vom Amt des Burgvogtes in früheren Jahrhunderten.
„Der Schlossverwalter vertritt den Eigentümer, in unserem Falle die Stiftung, verwaltet die Liegenschaft und koordiniert die Aufgaben. Da hat sich nicht viel geändert“, meint er schmunzelnd und erzählt, dass Kranichfeld jahrhundertelang zweigeteilt war, politisch-rechtlich ab 1454/55, als die Burggrafen von Kirchberg ihren gemeinsamen Besitz an Niederburg und Oberschloss an die Grafen Reuß von Plauen und die Grafen von Gleichen in Blankenhain verkauften. Erst am 1. Januar 1913 wurde der Ort wieder vereint.
Zurück zu den Burgen. Vom Bergfried des Oberschlosses aus kann man – wenn man weiß, wo sie sich befanden – noch immer Hinweise auf die ehemals befestigten Anlagen ausmachen.
Blickt man vom Schlossturm aus in südlicher Richtung auf die andere Seite des Ilmtals, sieht man einen kreisrunden Hügel. Er sieht aus wie ein kleiner runder Wald. Hier stand einst die Turmhügelburg „Neues Mahl“. Lediglich der Burghügel ist noch erhalten. Hier soll einst ein Wohnturm mit Nebengebäuden gestanden haben, erzählt Thomas Schiffer. Die Anlage könnte der Überwachung des mittelalterlichen Verkehrs zwischen Erfurt und Kranichfeld gedient haben. Und woher der Name? Vermutlich wurde der Hügel in späterer Zeit als Gerichtsstelle genutzt, erzählt er.
Die Enzenburg hingegen lag auf einer Landzunge eines heute verlandeten Sees. Sie befand sich auf dem Weg zwischen Kranichfeld und Tonndorf und soll eine Wasserburg gewesen sein. Man findet die Burgstelle im Wald aus Richtung Erfurt und Nauendorf kommend, südöstlich des Stausees, links der Straße nach Kranichfeld. Ob der 1385 erwähnte Ludwig von Enzenberg mit der Burg in Beziehung stand, ist noch unklar. Ebenso ist eine Dorfstelle Enzenrode, die 1143 genannt wird, in Erwägung zu ziehen, berichtet Thomas Schiffer. Und wo heute der Stausee Hohenfelden zu finden ist, lag früher der Enzeröder See. Der allerdings wurde 1599 trockengelegt. Das Areal ist heute ein Bodendenkmal.
Von der Schleussenburg sind nur noch Mauerreste mit Fischgrätenmauerwerk erkennbar. Dabei soll es sich um eine zweiteilige Anlage auf der Stiede gehandelt haben, die von zwei Wällen umgeben war. Sie lag über der Ilm am südöstlichen Ortsrand. „Wenn man vor der Kirche steht, geht rechts ein Fußweg ab, über die Stiede, wo man zur Schleussenburg und weiter auch zum ‚Neuen Mahl‘ gelangt, das westlich der Schleussenburg liegt“, so Thomas Schiffer, der nicht nur das Oberschloss in Kranichfeld, sondern auch zwei Objekte in Weimar betreut: das Kirms-Krackow-Haus und die Bastille vor dem Stadtschloss.

Schon in den Achtzigern entdeckte er seine Liebe zur Historie der kleinen Stadt an der Ilm. Ganz besonders das Oberschloss hatte es ihm angetan, mit vielen anderen engagierte er sich damals für die Burg. „Viele Handwerker waren damals in der Interessengemeinschaft und packten selbst an, um das Oberschloss vor dem Verfall zu bewahren“, sagt er. Erst nach der Wende wurde die Burg an die Stiftung übertragen, da aber kannte er schon jeden Stein des alten Gemäuers, wusste so manche Geschichte zu erzählen. Unter anderem die Legende um die beiden Herren von Kranichfeld, zwei Fürstenbrüder, nach der der ältere, Wolfer, sich am Arsche leckte (und dabei das Genick brach), als Lutger, der Jüngere, ihm mitteilte, er wolle sich genau gegenüber eine Burg errichten.
Die Rede ist von der heutigen Niederburg. „Eine schöne Geschichte um den Leckarsch, nur leider eine Sage“, lacht Thomas Schiffer und zeigt uns die Figur an der Südwestecke des Oberschlosses, direkt am Erker. Dargestellt ist ein Mann, der eine Pose einnimmt, die anatomisch unmöglich ist. Wen wundert es da, dass die Figur die Fantasie der Kranichfelder beflügelte…

Doch der Leckarsch stammt nicht aus den Anfängen der Burg, vielmehr ist er zur Zeit der Reussen entstanden, als die Burg im 16. Jahrhundert zum Schloss ausgebaut wurde, erzählt Thomas Schiffer.
Warum aber hatte Kranichfeld so viele Burgen? „Das ist ganz einfach und aus heutiger Sicht wenig spektakulär. Hier führte eine alte Handelsstraße, die sogenannte Böhmische Straße, entlang, direkt nach Eger und Prag. Sie führte unmittelbar von Erfurt kommend, durch die ehemalige Ilmfurt vorbei an der Kranichfelder Kirche“, so Thomas Schiffer. „Die Ilmstraße kreuzte aber auch noch andere wichtige Verbindungsstraßen, z. B. die Kupferstraße, die von Nürnberg über Hochdorf, Rudolstadt und Blankenhain nach Mansfeld führte“, erklärt er.
Damals war das Ilmtal eine bewegte Gegend und die Slawen nicht weit. Um die Grenzen zu schützen – und natürlich auch die West-Ost-Verbindung nach Prag – wurden deshalb hier Leute angesiedelt, die wehrhaft waren und sich verteidigen konnten. Jeweils eine Burg links und rechts der Ilm hatten da schon abschreckende Wirkung, sagt Thomas Schiffer.
Und auch Kaiser Otto I. zog schon hier entlang, im Herbst 954, als er zur Jagd in Thangelstedt (damals Saufeld genannt) weilte. So hat es der Historiker Wolfgang Kahl recherchiert und in seinem Buch „Geschichte der Stadt Kranichfeld“ niedergeschrieben, erzählt Thomas Schiffer.

Heute sind Oberschloss und Niederburg beliebte Ausflugsziele. Der Förderkreis Oberschloss Kranichfeld e. V. kümmert sich mit großem Engagement um die kulturelle Belebung der Burg, die Stadt um den musealen Betrieb, die Stiftung um den Erhalt der Anlage. „Aufgabe der Stiftung ist es, die ihr anvertrauten Denkmale zu pflegen, wiederherzustellen und Besuchern zugänglich zu machen“, erklärt Thomas Schiffer.
Alle drei Partner arbeiten eng zusammen. So wurden in den vergangenen Jahren viele Spendengelder zusammengetragen, u. a. um den Bergfried zu sanieren und eine neue Treppe einzubauen. Allein 60.000 Euro hat der Verein beigetragen, die Stiftung 360.000 Euro. Seit 1994 hat die Stiftung 2,5 Millionen Euro in das Oberschloss investiert.

Jedes Jahr gibt es auf dem Oberschloss ein großes Mittelalterfest zu Pfingsten, nicht zu verwechseln mit den Mittelaltertagen auf der Niederburg, die Anfang Oktober stattfinden. Beliebtes Ausflugsziel auf der Niederburg ist auch der Adler- und Falkenhof Schütz auf der Niederburg. Ab April finden dort wieder regelmäßig Vorführungen statt.
Das Mittelalterfest auf dem Oberschloss wird komplett vom Förderkreis Oberschloss Kranichfeld e. V. organisiert, alles ehrenamtlich und mit großem Engagement. Pfingstsonntag und Pfingstmontag verwandelt sich die Burg. Fahrendes Volk und umherziehende Händler, Trommeln, Pfeifen und Gesänge lassen den Geist des Mittelalters wieder aufleben, jeweils ab 11:00 Uhr. Nicht zu vergessen die Schlossweihnacht am 3. Adventswochenende, in diesem Jahr am 14. und 15. Dezember 2019, von 13 bis 18 Uhr – der Eintritt ist frei.
Wer das Oberschloss im Stillen auf sich wirken lassen will, kann Ende März den Aufstieg wagen. Dienstags bis sonntags von 10:00 bis 16:00 Uhr, ab Mai bis 17:00 Uhr. Der Obolus ist mit 2,50 Euro vergleichsweise gering. Kassiert wird von ehrenamtlichen Mitarbeitern. „Die Stadt freut sich immer über Hilfe. Ganz besonders sind jüngere Mitstreiter gefragt, die den musealen Betrieb absichern und beim Kassieren unterstützen“, sagt Thomas Schiffer.
Gut zu wissen
Auch mit der EVAG kommt man ins schöne Ilmtal. Wer also das Auto stehen lassen möchte, kommt auch mit der Bus-Linie 155 nach Kranichfeld.
Fotos Niederburg: Stadt Kranichfeld