Die Trommsdorffstraße in Erfurt kennt jeder. Aber wer war das gleich noch mal? Ein Apotheker – aber nicht irgendeiner. Schon als junger Mann – so ganz ohne höhere Schulbildung – schaffte Johann B. Trommsdorff es, die akademischen Weihen zu durchbrechen und wurde an der Erfurter Universität habilitiert. Das zeigt, wie angesehen er in der Stadt und der Universität war. Der Erfurter Pharmazeut gilt als Wegbereiter der Moderne. Eine Sonderausstellung im Stadtmuseum widmet sich dem Erfurter, der weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt war. Anlass ist sein 250. Geburtstag.
Unter dem Titel „Wer war Johann B.?“ zeichnet die aktuelle Schau im Erfurter Stadtmuseum ein Bild des Apothekers, der mehr als ein simpler Pillendreher war. Denn Johann B. Trommsdorff gilt als der Begründer der modernen Pharmazie. Da, wo heute am Anger die Hauptpost steht, war sein Domizil. Hier betrieb er seine Apotheke „Zum Schwanenring“, unterrichtete und beherbergte im Laufe seines Lebens 300 Apothekerlehrlinge aus ganz Deutschland. Hier schrieb er sein Journal der Pharmazie, das man in ganz Europa las, tauschte sich per Brief mit Experten aus England, Frankreich, Skandinavien, Russland und der Schweiz aus, pflegte den wissenschaftlichen Diskurs mit 49 europäischen Akademien, u. a. in Venedig, Zürich, St. Petersburg, Kopenhagen, Göttingen, unterrichtete an der Medizinischen Akademie in Erfurt.

Er analysierte Wasserproben, nicht nur aus der heimischen Dreienbrunnenquelle, sondern auch aus Alexisbad im Harz, Bad Ems in Rheinland-Pfalz, dem böhmischen Brüx oder Franzensbad und trug damit seinen ganz persönlichen Teil zur Entwicklung des Kur- und Bäderwesens bei, wovon letztendlich auch das Brauwesen profitierte.

„Johann B. Trommsdorff war nicht nur ein Mann mit vielen Talenten, er steht für den Aufbruch in die Moderne“, sagt Hardy Eidam, Oberkurator des Erfurter Stadtmuseums. In vielen Dingen war der Mann, der 1770 das Licht der Welt erblickte, seiner Zeit voraus. Er reformierte nicht nur das Apothekenwesen und sorgte für eine einheitliche Ausbildung der Lehrlinge. Trommsdorff träumte von einem Sozialstaat, in einer Zeit, als an soziale Gerechtigkeit nicht zu denken war, ersehnte sich ein Gesundheitssystem für alle, kostenlose Medikamente für jedermann – unabhängig von Herkunft oder Stand. Er gründete einen Verein zur Unterstützung alter Apothekergehilfen, um eine Versorgung im Alter zu garantieren. Er engagierte sich zur Etablierung einer Feuerversicherung für Apotheker, denn Brände in Apotheken waren seinerzeit keine Seltenheit und zählte zu den Gründern der „Gothaer Lebensversicherung“.

„Ein innovativer Mann der Praxis, unbeirrbarer Optimist und Humanist. Trommsdorff war nicht nur ein Mann mit vielen Talenten, er steht für den Aufbruch in die Moderne.“
Hardy Eidam, Oberkurator des Erfurter Stadtmuseums
Traurig, dass niemand die hochkarätige Ausstellung sehen kann, die theoretisch bis zum 20. Mai 2021 läuft. Denn die Türen des Hauses „Zum Stockfisch“ sind seit Monaten wegen Corona verschlossen. Gleichzeitig aber rückt die aktuelle Pandemie die Ausstellung in ein besonderes Licht. „Sie zeigt einmal mehr, wie wichtig interdisziplinäre Forschung ist, um Krankheiten zu erforschen und einzudämmen, die Menschen aufzuklären und zur Besonnenheit zu ermahnen“, sagt Eidam und erinnert an die Choleraepidemie, die 1831/32 in Erfurt grassierte und ähnlich wie heute für Quarantäne- und Isolationsbestimmungen, die Einstellung von Handel sowie Wochenmärkten sorgte.

Wie wichtig ein funktionierendes Gesundheitswesen ist, war Trommsdorff aber schon viel früher klar. Nach der Schlacht bei Lützen im Jahre 1813 war die Stadt voll mit provisorischen Lazaretten, Schwerverletzten und Krüppeln. Sogar in den Bürgerhäusern griff das Lazarettfieber um sich. Eine schlimme Zeit, in der Trommsdorff versuchte, alte Traditionen und Volksmagie aufzubrechen.
Davon künden auch diverse Ausstellungsstücke, zum Beispiel ein wellenförmig gedrehter prachtvoller Stoßzahn eines Narwales, der aus der Sammlung der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha (Museum der Natur) stammt. Lange hielt man die bis zu 3 Meter langen Gebilde, die gelegentlich am Strand angespült wurden, für die Hörner von Einhörnern, verkaufte sie in pulverisierter Form als Wundermedizin. „Das Gewicht eines Narwalstoßzahnes wurde mit Gold aufgewogen, und zwar 20-fach“, erzählt Hardy Eidam.

Interessant ist auch ein Apothekengefäß mit der Aufschrift „Theriak“. „Das war die Volksmedizin schlechthin. Noch Ende des 18. Jahrhunderts war sie weitverbreitet, enthielt Opium als schmerzlinderndes Mittel, aber auch Vipernfleisch oder Bärengalle, Entenblut und Wein“, erzählt Hardy Eidam. Verschiedene Versionen gab es davon – die billige fürs Volk, die teure, mit „Einhornpulver“ versetzte für den Adel und alle anderen, die es sich leisten konnten. Im 17. Jahrhundert waren Narwalzähne beliebte Stücke in den Wunderkammern europäischer Fürsten.

Etwas Besonderes ist aber auch der Toilettenkasten der Kaiserin Joséphine de Beauharnais, der ersten Frau von Napoleon Bonaparte – quasi ein Sinnbild für ein weiteres Steckenpferd des Erfurter Visionärs, der herausfand, dass Bleiweiß, Quecksilber, Wismut und Zinnober – zu seinen Zeiten gängige Mittel in der Schönheitspflege der eleganten Welt – zutiefst toxisch und damit lebensgefährlich waren. So setzte sich Trommsdorff für die Verwendung unschädlicher Parfums, Schönheitsmittel, Pulver, Pasten und Pomaden ein, verfasste um 1805 die „Kalliopistria, oder die Kunst der Toilette“ – eine Publikation, die leicht verständlich abgefasst war und sich großer Beliebtheit erfreute, denn Trommsdorff ermahnte dazu, natürliche, unschädliche Inhaltsstoffe zu verwenden.
Der Titel leitet sich vom Griechischen ab und bedeutet so viel wie „das Gesicht schön machen“. Das Büchlein enthält eine Vielzahl an Rezepten und Beschreibungen zur Herstellung von Schönheitsmitteln – denn bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein stellte man seine Kosmetika noch selbst her. Ein Trend zur Naturkosmetik, der gerade bei umweltbewussten Menschen eine Renaissance erfährt, um sich ganz sicher zu sein, welche Inhaltsstoffe mit der eigenen Haut in Berührung kommen.

Vielfältig sind die Ausstellungsstücke in der Schau, die derzeit niemand sehen kann. Sie stammen zu Teilen aus dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg – was zeigt, wie groß die internationale Bedeutung von Trommsdorff war, aber auch aus der Sammlung des Pharmaunternehmens Merck – eines Globalplayers mit über 60 Standorten auf der ganzen Welt. Denn das Darmstädter Imperium verbindet viel mit Erfurt und eben auch mit Trommsdorff. Heinrich Emmanuel Merck war einer von 300 Zöglingen der wissenschaftlichen Lehranstalt des Erfurter Visionärs. Davon kündet Mercks Zeugnis von 1812, das Trommsdorff selbst verfasst hat. Überhaupt muss Trommsdorff bei seinen Schülern sehr beliebt gewesen sein. In einer langen Liste in seinem Hauptbuch notierte er die Präsente seiner dankbaren Zöglinge, angefangen von Wein über Schweizer Käse, silberne Löffel, seidene Strümpfe oder böhmisches Glas. Ausgestellt ist eine Porzellanpfeile mit den Namen aller Schüler des Ausbildungsjahrganges 1822/23 – sie stammt wie viele andere Stücke aus dem Familienarchiv der Trommsdorffs.

Über ein Jahr dauerten die Vorbereitungen der Schau, die viel über die Pharmazie, das Selbstverständnis des 18. Jahrhunderts und über Trommsdorff als Forscher und Praktiker, Kaufmann und Fabrikant erzählt. Denn Johann B. Trommsdorff agierte nicht nur als Apotheker, er stellte ab 1797 im großen Stil Pfefferminzöl her. Seine Moosschokolade, die die gleichnamige isländische Flechte enthielt, fand reißenden Absatz. Er produzierte nicht nur in Erfurt, sondern auch in Tollwitz bei Bad Dürrenberg.