Er ist laut. Er ist lustig. 24 Jahre, ein Kind Lübecks, Politikwissenschaftler und einer der wenigen Köpfe der Thüringer Poetry Slam-Szene: Flemming Witt. Ich habe mit dem Wahl-Erfurter gesprochen. Darüber, wie er vom Poetry slammen leben kann, welche seine ausgefallensten Auftritte waren und wie die Erfurter Poetry Slam-Szene aufgestellt ist. 

„Die Thüringer Slammer Szene braucht Nachwuchs. Hast du nicht Lust? Im November ist ein Poetry Slam. Entweder du meldest dich an, oder ich mach das für dich“, spricht Friedrich Herrmann, ein Thüringer Slammer, zu Flemming Witt. Welche Chancen bleiben da? Flemming, gerade Neu-Jenenser, Politikwissenschaften-Student und Freizeittexter steht mehr oder weniger vor der Wahl. In seiner Kindheit und Jugend textete er gerne. Witze macht er gerne. Aber auf der Bühne stehen und vortragen? Warum nicht. Und so fing er an mit Poetry Slam.

Der erste Auftritt? „Mein Text war richtig kacke“, sagt der blonde Künstler. Andreas In Der Au (AIDA), Slam-Veranstalter und Vorstand des Highslammer e.V., sagt ihm das später bei der Thüringen Tour ins Gesicht; lobt ihn aber gleichzeitig: „Du bist schlecht, aber im Backstage-Bereich bist du lustig. Also komm doch wieder.“

Gesagt, getan! „AIDA fand mich natürlich nicht wirklich schlecht, er hat nur Verbesserungspotential in meinen Texten gesehen und wollte mich sanft in die richtige Richtung schubsen. Ich kenne ihn heute sehr gut und bin für seine Förderung unendlich dankbar; halte ihn für den nettesten Veranstalter Deutschlands.“ Flemming beginnt, Texte zu schreiben, die auch seinem Publikum Freude bereiten. Mit seinem Dokumentations-Text zum Paarungsverhalten des Homo Sapiens kommt der „Durchbruch“. Das Publikum lacht auf einmal, wenn er vor ihnen steht. Der Applaus nach diesem Vortrag, selbstverständlich in typischer Dokumentations-Sprecher-Manier vorgetragen, ist lang. Der Text führt zum Sieg und beschert ihm eine Sektdusche am Ende des Abends.

Doku Homo Sapiens – Flemming Witt

Das war – in Kurzform – der Anfang seiner Slam-Karriere. Was sich geändert hat? „Am Anfang war ich sehr verkopft. Jetzt schreibe ich, was mir selbst Spaß macht.“ Und darauf kommt es an. Das macht einen Slammer authentisch. Nicht immer muss eine tiefsinnige Message rüber kommen, sofern der Dichter Spaß am Schreiben hatte. Seither schreibt Flemming aus seiner Lebenswelt. Beispielsweise einen Text über Aileen, die ihn – noch in der Grundschule – verlassen hat. „Aileen hat es wirklich gegeben. Ein bisschen Angst habe ich, dass ich sie mal treffe, wenn ich den Text vortrage. Aber über die Trennung bin ich mittlerweile hinweg.“ Und was hat sich noch geändert, seit seinen Slam-Anfängen? „Ich bin weniger verbissen mittlerweile. Am Anfang eifert man dem Sieg hinterher. Man will zeigen: Ich habe es verdient, hier auf der Bühne zu stehen. Das ist nun nicht mehr so. Jetzt bin ich weniger aufgeregt und experimentierfreudiger geworden. Früher habe ich zur Sicherheit immer die gleichen Texte gelesen.“

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Flemming Witt bei einem Auftritt in der Erfurter Franz Mehlhose.

Poetry Slam ist eine moderne Form des Dichterwettstreits. Auf einer Bühne tragen dabei mehrere Dichter, Autoren oder Lyriker ihre Texte vor. Das Publikum bestimmt anschließend darüber, welcher Text der Beste ist. Seit den 90er Jahren entwickelt sich die Poetry Slam-Szene in Deutschland. Der 24-Jährige freut sich über das Wachstum: „Schön, dass es mittlerweile nicht mehr so belächelt wird.“ Aber wie würde er diese Form des Vortragens genau beschreiben? „Es ist Lyrik, es ist Prosa, es ist Dada, es ist alles.“ Und wie würde er einen typischen Poetry Slammer, inklusive sich selbst, beschreiben? „Ich will das nicht pauschalisieren. Aber vielleicht zeichnet ihn ein wenig das Bedürfnis aus, sich mitzuteilen. Und auch ein kleines bisschen Selbstdarstellung. Ich persönlich finde es toll, Feedback für die Texte zu bekommen“, sagt der Slammer, der seit zwei Jahren in Erfurt wohnt. Und mit einem Augenzwinkern: „Die Fähigkeit mit wenig Schlaf aus zu kommen und die Freude am Vortragen.“ Weiter betont er das Miteinander im Backstage-Bereich der Slams. Das macht den eigentlichen Wettbewerb zu einer „sozialen Geschichte“. Gern sitzt er mit anderen Dichtern nach den Auftritten beisammen; der Wettbewerbsgedanke wird zweitrangig. Oft sind es die gleichen Leute. In der Slammer-Szene kennt man sich.

Und heute? Nach Ende seines Studiums der Politikwissenschaften kann er vom Poetry Slam leben. Seit etwa einem Jahr. Reich wird er davon zwar nicht, aber die Bezahlung ist fair. Er moderiert regelmäßig die Jenaer Lesebühne, wird gebucht für Events oder schreibt Auftragstexte. Dabei kommt er quer durch Deutschland. Das ist das Gute am Poetry Slam: „Gerade als Student hat man nicht so viel Geld. Und so bekommt man die Möglichkeit zu reisen.“ Gebucht wird er auch für sogenanntes Poetic Recording. Was das ist? „Ich begleite einen Tag, schreibe nebenbei einen Text und dann fasse ich diesen zusammen. Das habe ich beispielsweise beim THAK Forum oder beim LEG Außenwirtschaftstag gemacht.“ Und sein ausgefallenster Auftrag? „Das ‚Entending‘ war das Abgefahrenste, was ich je gemacht habe.“

Doku Stadtwerke Erfurt – Rennenten

Und wie steht es um die Thüringer Poetry Slam-Szene? „Thüringen hat im Vergleich zu Bundesländern, wie Hamburg, Bayern oder NRW, eine kleine Szene. Das macht es aber auch familiär.“ Flemming ist Teil des Highslammer e.V. Das ist ein kleiner Thüringer Verein mit verschiedenen Thüringer Slammern als Mitglied. Es ist ein Verein, der zahlreiche Kultur- und Slamveranstaltungen im Bundesland organisiert. Beispielsweise den Slam im Maislabyrinth Erfurt, den Slam zum Sommergewinn in Eisenach, die LEA (Lesebühne Erfurter Autoren) im Franz Mehlhose Erfurt oder den Diary Slam im Kultur:Haus Dacheröden. Der Highslammer ist das Top-Event und der größte Slam Thüringens. Hier gilt in Highlander-Manier: Es kann nur einen geben. „Parallel sind wir auch immer auf der Suche nach neuen Veranstaltungsorten“, so Flemming Witt.

Er selbst sieht es als taktischen Vorteil, in Thüringen mit dem Slammen gestartet zu haben. Anders als beispielsweise in Hamburg geht man hier als Poetry Slammer nicht unter. Denn hier gibt es einfach nicht so viele Dichter. Die Thüringer Szene wird er wohl bald vermissen, da er der Liebe wegen nach Köln gehen wird. Dort will der die U20-Szene aufbauen. Einigen Thüringer Slams will er aber dennoch treu bleiben.
Folgende Slams in Erfurt sind seiner Meinung nach MUSS-Veranstaltungen für Fans der Poetry Slam-Szene:

Highslammer – großer Slam mit Autoren aus ganz Deutschland; jeweils zu Frühlings- und Herbstlese und aktuell am 13.04. im Kaisersaal Erfurt
„Spill the Beans“ – monatlicher Slam im Franz Mehlhose
Slam Saisoneröffnung – im September im Maislabyrinth Erfurt
Newcomer Slam – regelmäßig im Predigerkeller Erfurt

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Ein perfekter Ort zum kreativ sein und Lieblingscafé des Slammers: das Café Hilgenfeld.

 

Titelbild und Auftritts-Bild: Georg Junge; Bild Hilgenfeld: Marie Neubauer