Ihr Fenster ist der Hingucker auf der Krämerbrücke. Unweigerlich bleibt man davor stehen. Märchenhaft mutet es an mit seinen kleinen farbenfrohen Bildchen – und doch ist es nur eine Auswahl ihres künstlerischen Schaffens. Beate Kister gestaltet klitzekleine harmonische Farbwelten. Fast immer geht es um Tiere und Pflanzen. Wer genau hinschaut, entdeckt kleine, manches Mal tragische Geschichten — so wie die Liebe eines Huhnes zu einem Regenwurm. Wir genießen ein großes Privileg: Wir dürfen Beate Kister in ihrer privaten Welt besuchen.

Seit 1994 wohnt die gelernte Buchhändlerin auf der Krämerbrücke Erfurt. Dass sie hier heute ein Atelier hat, ist eher Zufall. »Denn Buchhändlerin war ich mit Leib und Seele«, erzählt sie. Sicher hat sie als Kind gern gemalt, aber irgendwann rückte das Malen in den Hintergrund, verschwand hinter der Welt aus Büchern und Geschichten. Mehr als ein Hobby war das Malen für sie nicht. Sie malte Geburtstagskarten für ihre Freunde, gestaltete Gutscheine. Erst 2005 entschloss sie sich, etwas ganz anderes zu versuchen: Mit 36 Jahren eröffnete sie ihr Atelier. Seitdem bietet sie klitzekleine Kunstwerke an.

Postkartenformate sind noch das Größte. »Das Kleine liegt mir, man kann sich so schön in Details verlieren«, sagt sie und greift zu einer Tasse Tee. Verkauft wird nur durchs Fenster — ganz klassisch wie im Mittelalter. Damit ist ihr kleines Geschäft schon eine Besonderheit — selbst auf der Erfurter Krämerbrücke, dem Ponte Vecchio des Nordens.

Das Fenster steht das ganze Jahr über offen, dahinter ist ihr kleines Atelier. Im Winter trennen es schwere Vorhänge vom Rest der Wohnung. Nicht mehr als zwölf Quadratmeter misst der Raum, der ganz in warmes Rot getaucht ist. Am Fenster ein runder Tisch. Pinsel, Aquarellstifte und Papier sind immer griffbereit.

Denn oft muss Beate Kister ihre Malerei unterbrechen. So auch jetzt. »Darf ich das haben?« Eine Frau lächelt freundlich durchs Fenster und hält ein kleines Bildchen hoch. »Aber gern«, Beate Kister ist sofort zur Stelle. Auch wenn sie in ihrer heimeligen Küche sitzt, hat sie immer ein Auge aufs Fenster. Manch einer will nur mal gucken, andere sind auf der Suche nach einem Mitbringsel. »Mit der Zeit bekommt man ein Gefühl dafür, wer nur schauen möchte«, sagt sie.
Klitzeklein ist ihr Heim an der Krämerbrücke, nicht mehr als 47 Quadratmeter, verteilt auf Küche und drei Zimmer. Im Obergeschoss hat die Familie Kister noch eine kleine Wohnung. So wie ihre Bilder ist auch die Wohnung farbenfroh und sehr gemütlich. Vom Schlafzimmer aus beäugt uns ein Stubentiger, er hat es sich auf der Tagesdecke zwischen den bunten Kissen bequem gemacht. Zu viert leben sie auf kleinstem Raum — Beate, ihr Mann, ihr zwölfjähriger Sohn und das getigerte Kätzchen.

Kein Platz ist hier für Überflüssiges, für unnötigen Ballast. Überall kleine Fotos, Bilder, charmante kleine Ecken. Liebevoll ist die kleine Wohnung in dem alten Haus eingerichtet.
Wer durch die Tür tritt, fühlt sich sofort zu Hause. Die Turnschuhe ihres Sohnes hängen an den Schnürsenkeln an einem Nagel, auch Mützen und Hüte finden so über dem Türrahmen der Küche ihren Platz. »Wenn man wenig Platz hat, muss man erfinderisch sein«, sagt Beate Kister, die in ihrem Reich wie eine Fee wirkt. Im Flur steht — direkt neben dem gut gefüllten Bücherregal — ein Fahrrad, damit radelt sie im Sommer in ihren Schrebergarten. Der ist nicht weit vom Steiger entfernt. Und wann immer es geht, macht die Familie sich auf an die Ostsee. Die Mischung aus Weite und Nähe gibt ihr Kraft.
Wer bei Beate Kister einkauft, nimmt ein kleines Stück Lebensfreude mit nach Hause, als Passepartout, Kalender oder Memoryspiel. Ihre Ideen sind grenzenlos. Da gibt es Käferlieben, von Mäusen entzückte
Giraffen; Würmer, die ein Igel — ohne es zu ahnen — ihrer großen Liebe entreißt. Selbst Magnete sind zu haben, von der Krämerbrücke im Spiel von Licht und Schatten, von Schnee und Eis, Frühling und Herbst.
Mancher ist vielleicht traurig, dass ihre Magnete kein Erfurt-Schriftzug ziert, sodass sie sich kaum ins Meer touristischer Accessoires einreihen lassen. Aber das hätte für sie zu viel von Fließband, von Konsum. Und auch das Plakative mag sie nicht. Vielmehr liebt sie Geschichten, die sich erst beim zweiten Hinsehen erschließen, Details, die immer klarer werden, je länger man eins ihrer Bilder betrachtet.
Manchmal, so erzählt sie, illustriert sie auch Kinderbücher oder malt ein Kinderzimmer aus — allerdings nur, wenn sie sich selbst in der Farbenwelt wiederfinden kann — sonst fehlt ihr sehr schnell die Seele. Und wenn am Ende eine Kunsterzieherin vor ihrem Fenster steht und ganz erstaunt ist, wenn sie auf die Frage »Wo haben Sie studiert?« mit einem »Gar nicht« antwortet, dann ist sie schon stolz, denn ihre kleine Welt hat sie sich selbst erschaffen, auf einer Brücke, die sie über alles liebt.
Mehr über Beate Kister gibt es hier. Geöffnet hat sie montags bis samstags von 11 bis 18 Uhr.
Fotos: Steve Bauerschmidt
Mehr über die Menschen auf der Krämerbrücke, z. B. über den Bäcker Hartmut Priemer, gibt es hier.