Dr. Winfried Wehrstedt vom Verein Spielplatz der Generationen e. V. hat große Pläne. Eine alte Iljuschin 18, eine russische Passagiermaschine aus den 1960ern, will er – in Kooperation mit dem Flughafen Erfurt-Weimar – zu einem Fliegenden Klassenzimmer umbauen.
Ab 1960 wurden 16 Exemplare an die DDR geliefert und von der Deutschen Lufthansa und später der Interflug eingesetzt. Sie waren bis zur Einführung der Tu-134 und Il-62 die einzigen auf den Mittel- bzw. Langstrecken dieser Fluggesellschaften eingesetzten Flugzeuge. (Quelle Wikipedia).* Die Erfurter Il-18 ist eine von ihnen. Ihr letzter Flug führte sie 1988 in die schöne Stadt an der Gera.
Normalerweise würde das Flugzeug dann in die Generalüberholung gehen, das war gängige Praxis. Nicht so die Iljuschin. Die viermotorige Propellerflugmaschine war nicht mehr zeitgemäß und längst durch Flugzeuge mit moderneren Antriebstechniken abgelöst worden. So hatte man keine Verwendung mehr für das gute Stück. Eine Zeitlang wurde sie als Restaurant genutzt, später für Katastrophen-, Brandschutz oder Terrorschutzübungen, was natürlich seinen Tribut forderte.
Manfred Soldan, die gute Seele des Projekts, hat die Il-18 noch in Aktion gesehen. Von ihm stammen viele alte Fotos der russischen Passagiermaschine, die Platz für 100 Reisende bot, als sie noch im Einsatz war. Obwohl er kein Vereinsmitglied ist, begleitet er den Umbau der alten Maschine von Anfang an, dokumentiert jeden Fortschritt bildlich oder per Video, denn mit dem Erfurter Flughafen fühlt er sich eng verbunden. „Ich habe lange Jahre hier gearbeitet und freue mich, dass die Il-18 eine neue Bestimmung bekommt. Deutschlandweit gibt es wohl nur noch vier davon, was die Beschaffung von Ersatzteilen nicht gerade einfach macht. Fast alle wurden im Laufe der Jahre verschrottet“, sagt er und zeigt mir Bilder von der Il-18, die er selbst geschossen hat. Sie stammen aus den 1980er-Jahren, als sie noch im Einsatz war.
„Die drei anderen Maschinen in Sinsheim, Borkheide und Leipzig haben einen rein musealen Charakter, wir gehen einen Schritt weiter und verbinden Geschichte, Gegenwart und Zukunft mit interaktiven Elementen“, erzählt Dr. Winfried Wehrstedt, der gerade mit dem Airbus-Wartungschef von Kasachstan in Verhandlungen steht, um originalgetreues Isoliermaterial und Teile für die Innenausstattung zu besorgen. Das Cockpit – das noch nicht ganz vollständig ist – stammt aus Moskau, im Austausch für die noch intakten Triebwerke der Erfurter Il-18.

Ein aufwendiges Projekt, das Zeit braucht, aber langsam Gestalt annimmt. Von außen sieht die 36 Meter lange Propellermaschine schon wieder aus wie neu. Sie präsentiert sich im klassischen Interflug-Rot mit grauem Bauch.





Aktuell arbeiten Maler-Azubis der Jugendberufsförderung ERFURT gGmbH im Innenraum. Sie schleifen Verwerfungen ab, lösen aufgeblühte Stellen vom Aluminium-Rumpf der Maschine. Zwei Wochen haben Sebastian, Julian, Charlene, Moritz und Nathaly dafür Zeit. Dick eingemummelt in Einweganzüge schwingen sie die Schleifer.

Trotz der ermüdenden Arbeit, die viel Geduld erfordert, sind sie begeistert. „Das ist mal was anderes, als Wände zu beschichten, die später wieder abgeschliffen werden“, sagt Nathaly. „Wenn das Fliegende Klassenzimmer Fahrt aufnimmt, können wir sagen, wir waren dabei und haben mitgeholfen“, pflichtet ihr Sebastian bei. Der 18-Jährige kommt aus Sömmerda und ist stolz, bei der Aktion mithelfen zu können.
Wenn die Schleifarbeiten beendet sind, kann der Innenraum grundiert werden – das ist die Grundlage für alle weiteren Gewerke wie Elektrik, Trockenbau und die Einrichtung des Fliegenden Klassenzimmers, das nicht nur virtuelle Reisen durch die ganze Welt anbieten soll, sondern bei Kindern und Jugendlichen auch das Interesse für Physik, Ingenieurtechnik und Luftfahrt wecken soll.

„MINT kann auch Spaß machen, das wollen wir zeigen“, davon ist Dr. Winfried Wehrstedt fest überzeugt, der von Haus aus eigentlich Deutschlehrer ist. Doch bis dahin ist noch viel zu tun. Noch braucht man viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie das Fliegende Klassenzimmer einmal aussehen wird.

„Wir kombinieren museale Aspekte und digitale Interaktion. Per App sollen die Kinder auf eine virtuelle Entdeckungsreise gehen können und gemeinsam Aufgaben lösen. Auch die Bedrohung durch den Klimawandel spielt dabei eine wichtige Rolle“, sagt Dr. Winfried Wehrstedt.
So gehört der immer kleiner werdende Regenwald ebenso zu den virtuellen Zielen wie schmelzende Gletscher oder Inseln in Ozeanien, die zu versinken drohen. Dabei soll es nicht bei der Theorie bleiben. Schüler können über die App ihren eigenen Alltag überprüfen und ihren persönlichen Fußabdruck bestimmen. „Das kann ein Anstoß sein, um zu überlegen, wie man seinen eigenen CO2-Ausstoß reduzieren kann, persönlich, aber auch in der ganzen Familie“, betont Dr. Winfried Wehrstedt, der davon überzeugt ist, dass Probleme nur gemeinsam angegangen und gelöst werden können.
„Der erste Schritt aber ist das Verstehen“, sagt er und sieht damit einen direkten Bezug zu Erich Kästners gleichnamigem Kinderbuchklassiker, in dem Schüler einer Internatsklasse im Geografie-Unterricht nicht nur auf Reisen gehen, sondern auch lernen, füreinander einzustehen. Ein Aspekt, der heute immer wichtiger wird, findet er und freut sich über die Hilfe der Stadtwerke Erfurt. Sie unterstützen das Projekt über einen Zeitraum von drei Jahren. Nachhaltige Bildung und Entwicklung, die Sensibilisierung für den Klimaschutz spielen auch bei dem kommunalen Versorger eine wichtige Rolle, der selbst im Bereich der Schulkommunikation aktiv ist und virtuelle Angebote wie die Wissenswelt, eine interaktive Rallye durch die Stadt Erfurt, entwickelt hat.

*Manfred Soldan sagt, es waren 15 Il-18, die in die DDR geliefert wurden.
Mehr zum Projekt „Fliegendes Klassenzimmer“ gibt es hier.
Archiv-Aufnahmen der Il-18 im Betrieb: Manfred Soldan
Titelbild, Aufnahmen der Arbeiten: Steve Bauerschmidt