Schloss Molsdorf hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Gemeinsam mit Dr. Kai Uwe Schierz und Grit Straßburg machen wir uns auf einen Spaziergang durch die Jahrhunderte. Die beiden wissen sehr viel über die Herren von Molsdorf.

War Gustav Adolf von Gotter der Hallodri, der Lüstling und Ausrichter rauschender Feste ohne Sitte und Anstand? Wohl eher nicht. „Diese Eigenschaften hat ihm das 19. Jahrhundert angedichtet.“ Dr. Kai Uwe Schierz ist sich da ziemlich sicher. Der Direktor der Erfurter Kunstmuseen hat sich intensiv mit dem Diplomaten beschäftigt, der im 18. Jahrhundert für Sachsen-Gotha und später für Friedrich den Großen arbeitete und zum Reichsgrafen aufstieg.

„Allerdings hat sein schlechter Ruf auch seine Vorteile. Sonst hätten wir im Schloss Molsdorf wohl kaum eine so umfangreiche Sammlung erotischer Kunst. In den 1980er-Jahren war man der Meinung, die Erotika wären im Lustschloss des Grafen gut aufgehoben“, meint er, relativiert aber auch: Sicher richtete Gotter großartige Feste aus, denn er wollte auch zeigen, was er als Bürgerlicher erreicht hatte. „In erster Linie aber war er ein Ästhet, der sich sein eigenes Sabinum erschaffen wollte“, betont Schierz und zieht einen direkten Bezug Gotters zu Horaz, dem römischen Dichter, in dessen Annalen man viel über seine Villa abseits der Hektik Roms lesen kann. Dass der Reichsgraf ein Faible für den Literaten der Antike hatte, der noch heute in einem Atemzug mit Vergil und Ovid genannt wird, ist keine Interpretation. Dafür gibt es Beweise, und zwar am Nordportal des Lustschlosses. Davon kündet ein Schlussstein – direkt über dem Tor – mit einer an Horaz angelehnten lateinischen Inschrift, die sinngemäß bedeutet: „Lacht mir doch kein Winkel dieser Erde wie dieser“.

Überhaupt gibt es einige Parallelen zwischen dem Dichter der Augusteischen Zeit und dem aus Gotha stammenden Diplomaten. Auch für Gotter war Molsdorf ein Rückzugsort, ein Ort der Muße und Entspannung, abseits von den Ränkespielen des Hofes. Während Gotter bürgerlicher Herkunft war, soll Horaz gar dem Sklavenstand entstammen. Beide haben erreicht, was ihnen von Geburt an eigentlich verwehrt gewesen wäre…

„Gotters Bibliothek war erlesen, die Bildersammlung bedeutend. Er muss ein sehr guter Netzwerker gewesen sein“, sinniert Schierz. Wie sonst hätte er sich solch eine Anlage leisten können, auch wenn das Rittergut, als er es 1734 erwarb, ziemlich heruntergekommen war?

Grit Straßburg in der Bibliothek von Gotter. Im Hintergrund ist die Tür zu erkennen, die ins Tränenkabinett der Gräfin von Gneisenau führt. Es wurde am Anfang des 20. Jahrhunderts eingerichtet.

Die für mehrere tausend Bände konzipierte Bibliothek ist im Original erhalten. Die Wände sind mit zwölf medaillonförmigen Idealporträts römischer Kaiser geschmückt. Nach dem Tode Herzog Augusts von Sachsen-Gotha und Altenburg wurden die Bücher in die Bestände der Gothaer Herzoglichen Bibliothek überführt. Noch heute ist der Bibliothekskatalog überliefert und zeichnet Gotter als Liebhaber von Kunst und Wissenschaft. 2188 Bände umfasste die Sammlung des Reichsgrafen bürgerlicher Herkunft.

Von seinen sehr guten Kontakten künden nicht nur die großartigen Deckenmalereien seiner prachtvollen Salons, für die er bekannte Künstler seiner Zeit engagierte, sondern auch die Porträts im Festsaal. Sie alle sind Personen nachempfunden, die Gotter im Laufe seiner diplomatischen Dienste kennenlernte. Eugen von Savoyen nimmt darin einen besonderen Platz ein. Es ist eines von drei sehr großen Gemälden, die für ihn eine besondere Bedeutung gehabt haben müssen.

Auch wenn Schierz viel über Gotter zu berichten weiß, so manches bleibt im Dunkeln, kann nur vermutet werden. Denn die Belege fehlen. So stellt sich die Frage, wie Gotter und Prinz Eugen miteinander bekannt wurden? Immerhin war Gotter „nur“ Diplomat eines klitzekleinen Fürstentums und Prinz Eugen einer der größten Feldherren der Habsburger.

Und auch eine andere Frage brennt Schierz auf dem Herzen: Wer ist Graf Wenzel von Lichtenstein? Auch ihm widmete Gotter in seinem Bildersaal ein überlebensgroßes Porträt. „Wir wissen noch gar nichts über ihn“, sagt Schierz und schaut nachdenklich zu dem Bildnis des jungen Mannes auf.

15 Jahre lang nannte Gotter das Molsdorfer Wasserschloss sein Eigen, nahm umfangreiche, prachtvolle Umbauten vor. In zwei Bauphasen ließ er die alte Schlossanlage ab 1737 in einen repräsentativen rechteckigen vierflügeligen Bau umgestalten. Auch der alte Bergfried, den aufmerksame Betrachter im Marmorsaal noch auf einem Gemälde entdecken können, musste weichen. Fertig wurde Gotter allerdings nie. Das sieht man nicht nur an dem etwas eigenwilligen Grundriss der Anlage, sondern auch an den unterschiedlichen Geschosshöhen im Inneren des Lustschlosses.

Gustav Adolf von Gotter hat hier nicht wirklich geschlafen. Es sollte aber so aussehen. Und auch die beiden Türen links und rechts sind nur Dekoration. Die prachtvoll gestaltete Schlafstätte befindet sich in den Prunkräumen des Schlosses, der eigentliche Alkoven in einem ganz anderen Teil des Gebäudes…

Am Ende musste er es verkaufen, 1748 waren seine Mittel restlos erschöpft. „Der klassische Notverkauf aufgrund seiner unermesslichen Verschwendungssucht. Ein Freund half ihm aus der Patsche und ließ ihn bis 1754 noch hier wohnen“, berichtet Schierz.

Noch heute künden die Salons und der Festsaal von der Eleganz des frühen 18. Jahrhunderts, aber auch Elemente der alten Wasserburg finden sich noch.

Dr. Kai Uwe Schierz und Grit Straßburg im prachtvollen Festsaal des Molsdorfer Schlosses.

„Eine faszinierende Anlage“, das sagt auch Grit Straßburg. Seit April ist sie die Herrin von Schloss Molsdorf, das im Eigentum der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten liegt. „Naja, eher Schlossverwalterin“, schränkt die sympathische junge Frau ein. „Das ganze Gebäude verströmt den Atem der Aufklärung. Immer wieder finden sich Hinweise, sagt sie und lenkt unseren Blick auf das große Deckengemälde im Festsaal. Es ist quasi die Fortsetzung des Deckengemäldes im Marmorsaal, und führt damit symbolisch den Leitgedanken der Aufklärung fort. Gemalt wurde es vom Wiener Hofmaler Peter Weingart.

In der Mitte befindet sich Flora mit weißem Gewand und großem Blumengebinde. Zu ihrer Linken ist Venus, die Flora mit klarer Geste an Apoll (Gott des Lichtes) verweist. Fazit: Die Wahrheit in Gestalt der Venus zeigt der Aufklärung in Gestalt der Flora den Weg zur Erkenntnis in Gestalt des Apoll. Apolls Haltung zeigt, dass er empfangsbereit ist und sie im Kreis der Götter aufnimmt. Diese Götter sind im unteren Teil des Bildes dargestellt. Es handelt sich z.B. um Vulcanus, Bacchus, Ceres, Neptun, Mars, Diana u.a. Exemplarisch steht die Darstellung dafür, dass das Studium der Natur zur Selbsterkenntnis führt. Die alte Weltordnung wird in Frage gestellt und kündigt das Goldene Zeitalter an.

Das große Deckengemälde im Festsaal. Im Zentrum steht Flora (mit Blumengebinde). Venus weist ihr den Weg zur Erkenntnis in Gestalt des Apoll.

Das „Thüringer Versailles“, wie Molsdorf in seiner Blütezeit oft genannt wurde, hat sie schon immer fasziniert. Die gebürtige Dresdnerin hat einen Hang zu barocken Bauten und stattete der Anlage schon früher öfter einen Besuch ab. „Dass ich jetzt hier arbeiten darf, ist großartig, aber auch nicht einfach. Unsere Hauptaufgabe ist die Erhaltung des Gebäudes und der Parkanlage. Da gibt es viel zu tun“, sagt sie. Denn das alte Gemäuer, dessen Ursprünge im 16. Jahrhundert liegen, knarzt an allen Ecken und Enden. Im Laufe der Jahrhunderte hat es nasse Füße bekommen.

Es ist kein leichtes Erbe, das sie da antritt. Mit ihrem Vorgänger hat das wenig zu tun, wohl aber mit der Autobahn, die wenige Kilometer entfernt vorbeiführt. Das Oberflächenwasser der A 71 läuft in den Thöreyer Bach, der auch den Schlossteich speist und den Grundwasserspiegel ansteigen lässt. Ein Wasserschloss ist immer eine feuchte Angelegenheit und hier bringt es sich wieder in Erinnerung, auch wenn Gotter dafür gesorgt hat, dass niemand mehr denken würde, Molsdorf wäre ein Wasserschloss. Die Folge: feuchte Grundmauern, Salpeter an den Außenwänden. „Aktuell arbeiten wir daran, den Schlossteich über einen Brunnen mit Grundwasser zu versorgen, um die Zufuhr von Schadstoffen zu unterbinden“, erzählt Grit Strassburg. Erst 2018 erneuerte die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten die Heizung, sorgte für eine Sanierung der Sandsteinskulpturen. Die Gärtner der Stiftung pflegen und bewirtschaften den Park, der übrigens für jedermann kostenfrei und ein wahrer Ort der Erholung ist. Leider bekommen die Gärtner wenig positive Resonanz auf ihre Pflege und müssen sich auch noch um Hinterlassenschaften der Besucher und ihrer Hunde kümmern, sagt Grit Straßburg, die sich wünscht, dass auch Radfahrer rücksichtsvoller mit den Wiesenflächen umgehen…

300.000 Euro investierte die Stiftung in das alte barocke Lustschloss, die eine ziemliche Bürde trägt, denn neben Molsdorf liegt die Erhaltung zahlreicher anderer Schlösser, Burgen, Klöster und Parks in ihren Händen. Dafür braucht man Gelder, die erst einmal aufgebracht werden müssen. Das freilich sieht der Besucher nicht, wenn er an verwitterten Mauern entlangbummelt, alte Fensterläden inspiziert oder einen Blick auf den leicht erhöhten maroden Pavillon wirft. Dennoch kann man sich der Faszination Molsdorfs nicht entziehen. Das gilt auch für die zahlreichen Hochzeitspaare, die sich nur allzu gern im Park oder direkt im Schloss fotografieren lassen. Auch das gehört zu den Aufgaben von Grit Straßburg, die sich freut, dass im nächsten Jahr eine eigene Schlosskonditorei bekommt. Die Lebenshilfe Service gGmbH will dort nicht nur Konditoren ausbilden, sondern auch ein Schlosscafé einrichten. „Der perfekte Ort dafür“, findet Grit Straßburg.

Während Schierz sich mehr für Gotter begeistert, ist Grit Straßburg besonders von der Gräfin Maria von Gneisenau angetan. Eine emanzipierte Frau, die das Schloss 1909 erwarb, schwärmt die neue Herrin des alten Schlosses. „Auch sie drückte der Anlage ihren Stempel auf, allerdings behutsamer als der Reichsgraf. Auch ihre Projekte waren größerer Natur, die Heizungsanlage z. B., die das ganze Schloss mit Wärme versorgt, aber so gut versteckt ist, dass man sie nicht sieht. Eine beachtliche Leistung“, findet Grit Straßburg, die weiß, wovon sie spricht. Von Haus aus ist sie Bauingenieurin.

Spiegelbild eines Gemäldes der Gräfin Maria von Gneisenau, die das Schloss 1909 erwarb.

Hinter der Gotter’schen Bibliothek, die um die 2.000 Bände umfasste – ein Teil davon befindet sich inzwischen im Schloss Gotha, ließ die belesene Gräfin einen besonderen Ruheraum einbauen. Schiebt man die getäfelte Holzwand beiseite, steht man in einem grottenartigen, im Jugendstil gehaltenen dunklen Raum, der mit tropfenförmigen Perlmuttarbeiten verziert ist. Sie erinnern an Tränen.

„Für die Gräfin war es wohl im doppelten Sinne ein Tränenkabinett. Die zweifache Mutter zog sich nach ihrer Scheidung vom Urenkel des berühmten Generalfeldmarschalls nach Molsdorf zurück“, sagt Grit Straßburg. Der Umbau des Anwesens war für sie ein künstlerisches Vorhaben, das ihr half, eine schwere Sinn- und Lebenskrise zu überwinden.

Und dann zeigt sie uns noch das Marmorbad, das nicht anders als mondän zu bezeichnen ist. Die Gneisenau ließ es 1910 im 1. Obergeschoss gestalten. „Es ist eines der wenigen erhaltenen privaten Luxusbäder des frühen 20. Jahrhunderts“, sagt Grit Straßburg.

Seit 1939 ist das Schloss in Staatsbesitz, war Kinderheim und entging in den 1950er-Jahren nur knapp dem Abriss.

Wer mehr über Molsdorf erfahren möchte, hat dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr die Gelegenheit dazu. Führungen finden zu jeder vollen Stunde und nach Vereinbarung statt.

Felix Büttner in Ausstellung

Unter dem Titel „Erotica, der Lenz ist da“ präsentiert Felix Büttner bis zum 18. Oktober 2020 Aquarelle, Zeichnungen und Druckgrafiken im Schloss Molsdorf. Felix Büttner liebt es übrigens bunt und sein größtes Bild ist weltweit bekannt: die roten Lippen und die Augen mit dem ausgedehnten Lidstrich – der AIDA Kussmund. Seit 1994 ziert das Logo den Bug der AIDA-Schiffe und bereist die Weltmeere.

Erotische Bilder von Felix Büttner sind bis 18. Oktober im Schloss Molsdorf ausgestellt.

Fotos: Steve Bauerschmidt