Es ist Dienstag, 15 Uhr. Die Stadt ist voller Menschen. Vor allem am Anger sind ziemlich viele unterwegs. Plötzlich fährt ein Polizeiwagen vor, direkt vorm EVAG-Mobilitätszentrum. Was ist da los? Die ersten recken ihre Köpfe. Sechs junge Polizisten steigen aus, in voller Montur. Plötzlich bildet sich eine Traube um sechs Passanten. Alle sind ins Gespräch vertieft. Was geht hier vor?

Ganz einfach: eine Komplexkontrolle der EVAG. Die Passanten sind in Wirklichkeit Fahrausweisprüfer und seit Jahren für den Sicherheitsdienst Condor unterwegs, der auch im Auftrag der EVAG überprüft, ob Fahrgäste immer ein Ticket dabei haben.

Susi ist Anfang 60 und schon seit 19 Jahren dabei, Thomas seit fünfeinhalb Jahren. Auch Erwin arbeitet schon lange als Fahrausweisprüfer, aber nicht nur in Erfurt, sondern auch in Gotha. Natürlich schreiben wir hier nicht ihre wirklichen Namen, denn das Leben eines Fahrkartenkontrolleurs ist nicht gerade einfach. „Der Ton wird rauer, Beleidigungen sind heute schon fast an der Tagesordnung“, weiß auch Thomas zu berichten, der wie alle anderen versucht, sein Privatleben zu schützen.

Das ist nicht immer einfach. Leider gibt es auch immer mal wieder tätliche Übergriffe. Heute mit Sicherheit nicht. Jeweils drei Prüfer sind mit zwei Polizisten unterwegs. Trotzdem machen sich die drei auf die eine oder andere persönliche Beleidigung gefasst. Das Kommando hat heute Polizeikommissarin Schlotterbeck (Name geändert). „Wir sind mit sechs Leuten zur Einsatzunterstützung vor Ort“, erklärt sie uns. Alle sechs sind von der Landespolizei. Nach kurzer Einsatzbesprechung verteilen sich alle.

Wir steigen mit Thomas, Erwin und Susi in die Stadtbahn-Linie 3, Richtung Wiesenhügel. Mit zwei Polizisten im Schlepptau erregen wir Aufsehen. Während Thomas im hinteren Teil des letzten Wagens um die Fahrausweise bittet, kontrollieren Susi und Erwin den vorderen Bereich. Nach nur einer Station wechseln wir in den vorderen Wagen. Es dauert nicht lange. Nach nur 20 Minuten ist der erste Tarifverletzer gesichtet. Ein junger Mann hatte zwar eine Fahrkarte, wollte aber erst stempeln, als er die Prüfer sah. Die aber haben ein scharfes Auge und kennen ihre Pappenheimer.

Es ist ihm sichtlich peinlich, als sie seine Personalien abfragen und ihm den EBE-Beleg ausstellen. EBE heißt erhöhtes Beförderungsentgelt. 60 Euro kostet das den jungen Mann, der sich sichtlich hinter seinem Mund-Nasen-Schutz versteckt, als Polizeikommissarin Schlotterbeck an sein Gewissen appelliert. Sie lässt es sich nicht nehmen, ihn darüber aufzuklären, dass Fahren ohne Fahrausweis kein Kavaliersdelikt ist, sondern eine Straftat.

Weiter geht’s. Inzwischen sind wir in der Stadtbahn-Linie 4 unterwegs. Am Färberwaidweg ertappen wir einen jungen Mann, der zwar eine Abokarte für ein Schüler-Azubi-Ticket hat. Aber leider hat er keine Berechtigungskarte und auch keinen Schülerausweis dabei. Er hat ihn nicht vergessen, sondern gar keinen beantragt. „Das passiert leider oft, sie müssen doch nur ins Sekretariat der Schule und sich einen ausstellen lassen“, berichtet Susi aus ihrem reichen Erfahrungsschatz. Aber er hat Glück, wenn er sich innerhalb von sieben Tagen im EVAG-Mobilitätszentrum am Anger mit Schülerausweis meldet, wird das EBE von 60 Euro auf 7 Euro reduziert.

Immer wieder steigen auch Fahrgäste ein, die in aller Seelenruhe ihre Maske auspacken, als sie schon halb sitzen. Auch hier gibt es immer wieder einen Hinweis von Thomas, Erwin oder Susi. „Wer keine Mund-Nasen-Bedeckung hat, darf nicht mitfahren. Es sei denn, er kann ein gültiges Attest vorweisen“, erklärt Thomas einer jungen Frau, die selbst eine Maske trägt, aber eine Nachfrage zu dem Thema hat. Denn tatsächlich sitzt eine Frau in mittleren Jahren in der Bahn – ohne Mund-Nase-Bedeckung. Sie allerdings hat ein Attest.

Die Zeit vergeht wie im Fluge. Immer wieder steigen die Fahrausweisprüfer um, wechseln die Linie oder die Fahrtrichtung, steigen aus, wenn sie einen Fahrgast ohne Ticket kontrolliert haben. An der Haltestelle werden die Personalien aufgenommen. Dann geht es weiter in die nächste Bahn. Entspannt ist das nicht. Und die ganze Zeit auf den Beinen. Die ganze Zeit über wechseln sie die Wagen, müssen im Blick haben, welcher Fahrgast schon kontrolliert wurde, welcher nicht.

Wir haben Mühe, den Anschluss zu halten und rennen teilweise hinterher, um sie nicht zu verpassen. Am Melchendorfer Markt wird ein junger Familienvater aufgegriffen. Wahrscheinlich hat er sein Kind im Kindergarten abgeholt und wollte nur eine Station fahren – ohne Karte. Er ist ziemlich wütend, als die Prüfer ihm erklären, dass er 60 Euro erhöhtes Beförderungsentgelt bezahlen muss. „Du bist ein schlechter Mann“, tituliert er den jungen Polizisten, der versucht, ihn zu beruhigen. Verschüchtert schaut seine kleine Tochter zu.

Und auch am Wiesenhügel wird es unschön. Ein junges, gertenschlankes Mädchen hat ein Ticket – aber nicht entwertet, keinen Ausweis und ihren Hund dabei. Auch für ihn hat sie kein Ticket und keinen Maulkorb. Das wird teuer, 140 Euro. Die junge Frau hat kein Einsehen, schimpft, wie dumm alle sind. Dass der Fehler an ihr liegt, verdrängt sie.

Ob er manchmal Mitleid hat, fragt Frank Karmeyer von der Mediengruppe, der einen großen Beitrag für TA und TLZ schreibt, den Prüfer Thomas. „Am Anfang ja, aber das legt sich schnell“, sagt er und erzählt von den vielen Ausreden, die immer die gleichen sind. „Natürlich muss man im Blick haben, wenn ältere Leute einsteigen, die manchmal etwas länger brauchen, um ihren Fahrausweis herauszuholen“, sagt er, erzählt im gleichen Atemzug aber auch von einer älteren Dame, die ihn mit ihrem Rollator schlagen wollte, als sie keinen gültigen Fahrschein dabei hatte.

Geschlagen, gekratzt und gebissen wurde er schon. Sogar ein Klappmesser wurde in seinem Rücken schon gezückt und dabei macht er nur seinen Job. Trotz vieler schlechter Erfahrungen im Laufe der Jahre ist sein Ton nach wie vor freundlich, wenn er seiner Arbeit nachgeht. Aber selbst Susi sagt, „ich kann auch anders, manchmal muss man konsequent sein.“

Wir verabschieden uns gegen 18 Uhr und lassen die Prüfer und Polizisten allein. Die sind noch bis 0:30 Uhr unterwegs, um Fahrgäste zu kontrollieren. Komplexkontrollen wie diese gibt es immer mal, allerdings unregelmäßig. Am Ende des Tages sind es 59 erhöhte Beförderungsentgelte, die ausgestellt wurden. Aufgrund der Polizeipräsenz lief alles glimpflich ab, bis auf verschiedene verbale Äußerungen, die eigentlich eine Anzeige wert wären. „Aber 60 Euro sind viel Geld, da schlägt mancher im Eifer der Gefühle schon mal verbal über die Stränge“, sagt Thomas. Wie es scheint, hat er doch ein bisschen Mitleid.