Sie ist nur ein kleines Stück aus dem Erfurter Schatz und in der Alten Synagoge ausgestellt – die kleine Silberdose. Dennoch ist sie sehr geheimnisvoll. Wir verraten euch, was wir über sie wissen.
Ihr Faible war eher das Früh- und Hochmittelalter, und auch vom Erfurter Schatz hatte sie nur gehört. Bis zu dem Tag, als ihre Chefin ihr eine Kiste auf den Tisch stellte und sie bat, mal kurz darauf aufzupassen. Neugierig wie Maria Stürzebecher nun mal ist, blieb es nicht dabei. Jedes Teil, damals noch nicht restauriert, schaute sie sich genau an.

Das war 2001 und sie noch Volontärin im Archäologischen Denkmalschutz: Jede freie Minute galt den Kleinodien, die 1998 bei Bauarbeiten unter einer Mauer in der Michaelisstraße entdeckt wurden. Dass sie einst die Hüterin des Erfurter Schatzes sein und ihn nach Paris, London und New York begleiten würde, hätte sie nie gedacht. Und doch ist es so. Vermutlich hat Kalman von Wiehe, ein jüdischer Kaufmann, ihn 1349 im Zuge des Pogroms vergraben.

Was Maria Stürzebecher interessiert, das sind nicht so sehr die Kostbarkeiten, sondern die Schicksale der Menschen, die eng mit dem Fund verwoben sind. Und die sind vor allem tragisch. Wut, Verzweiflung und die Angst der Erfurter Bevölkerung vor der Pest gipfelten am 21. März 1349 in Zerstörung, Mord und Totschlag an den Juden. Mehr als 1000 Menschen starben an diesem Tag. Auch der Bankier Kalman von Wiehe überlebte die Ausschreitungen nicht.
Viele Geheimnisse um den Schatz sind heute schon gelüftet. Wir wissen, dass der Erfurter Hochzeitsring von zeremonieller Bedeutung war und nicht im Alltag getragen wurde. Er ist das Prunkstück des Schatzes und besticht durch seine filigrane Bearbeitung. Auf dem Dach kann man die hebräische Inschrift „Masel tov“ lesen. Sie steht für „Viel Glück!“. Wer sich den Schatz anschaut, kommt nicht umhin, sich darüber Gedanken zu machen.
Was ist mit den Menschen passiert? Welche Leiden mussten sie erdulden? Manche Fundstücke werden ihr Geheimnis wohl ewig für sich behalten: die kleine Silberdose zum Beispiel, die gemeinsam mit einem silbernen Kosmetikset in einer Vitrine der Alten Synagoge liegt.
Während das Set, das einst parfümierte Baumwolle enthielt, sogar die Aufmerksamkeit von L’Oreal weckte und von den Parisern für eine Studie ausgeliehen wurde, wirkt die Dose aus dem ersten Drittel des 14. Jh. eher unscheinbar. „Dabei muss sie jemand sehr geliebt haben“, ist sich Maria Stürzebecher sicher. „Sie ist nicht nur wundervoll gearbeitet und zeigt auf dem Deckel ein Liebespaar. Der Besitzer muss sie oft in der Hand gehalten haben, das zeigen die starken Gebrauchsspuren“, sagt die 41-Jährige.
Vielleicht hat er (oder sie) das Döschen auch mit sich herumgetragen. Das würde erklären, warum von der ursprünglichen Vergoldung nur noch minimale Spuren erhalten geblieben sind, die sich erst auf den zweiten Blick offenbaren. Was sie enthielt? Darüber grübelt sie schon lange nach. Vielleicht ein Liebespfand? Eine Haarlocke zum Beispiel? „Wir werden es nie erfahren“, sagt sie und schaut auf ihre eigene kleine Silberdose – eine detailgetreue Replik des Originals. Ihre Kollegen haben ihr das Lieblingsstück zur Promotion geschenkt.

Und auch eine Zeichnung der Silberdose hat sie inzwischen in ihrem persönlichen Fundus. Sie entstand im Zuge der Dreharbeiten zur „Geschichte Mitteldeutschlands“. Eine der Spielszenen zeigt den Goldschmied, der sie anfertigte. Maria Stürzebecher, inzwischen UNESCO-Welterbe-Beauftragte der Stadt Erfurt, war als Beraterin beim Dreh rund um den Erfurter Schatz dabei. „Das war eine tolle Zeit, sehr nette Leute, die sich wirklich für Erfurt und seine Geschichte interessiert haben“, denkt sie zurück und ist schon ganz gespannt auf den Beitrag, der am 7. August im MDR in der Reihe „Geschichte Mitteldeutschlands“ zu sehen ist.
Fotos: Steve Bauerschmidt