Viele Dinge tun wir aus reiner Gewohnheit, ohne es zu hinterfragen – Alltagsroutinen bestimmen unseren Geist. Unangenehme Gefühle werden nicht selten ausgeblendet, weggeschoben, im hintersten Winkel unseres Gehirns vergraben, schließlich müssen wir funktionieren in einer Welt, die uns täglich mit neuen Reizen fordert und teilweise überfordert.
Nur selten fragen wir uns, was die Ursache der negativen Emotionen ist oder hören auf unsere innere Stimme, nehmen uns Zeit durchzuatmen. Achtsamkeit ist das genaue Gegenteil davon – die Besinnung auf das Sein, die tatsächlichen Sinneseindrücke.
Ein bisschen ist es so, als würde man das Gehirn verlangsamen, das Fließband der Datenautobahnen langsamer laufen lassen. An nichts zu denken, das Gehirn quasi leer zu machen – das ist gar nicht so einfach und erfordert Übung.

„Achtsamkeit ist die Kunst, wahrzunehmen, was gerade ist, und sich dabei nicht in Gedanken und Bewertungen zu verlieren. Das klingt leicht. Ist es aber nicht. Studien haben gezeigt, dass der menschliche Geist eine enorme Neigung zum Mind-wandering hat – also zu „Gedanken-Wanderungen“ oder zum Grübeln. Fast 50 Prozent unserer Zeit verbringen wir „in Gedanken“, beim Nachdenken über Vergangenes und Zukünftiges. Diese ständigen Gedankenreisen kommen uns bei der Wahrnehmung dessen, was in der Gegenwart tatsächlich geschieht, in die Quere. Damit umgehen zu lernen, ist der Sinn von Achtsamkeitsübungen“, sagt Mike Sandbothe. Er ist Professor für Kultur und Medien an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena. Dort unterrichtet er Studierende in Meditation.
Der zertifizierte Achtsamkeitstrainer aus Erfurt ist einer der beiden Gründerväter des Thüringer Modells Achtsame Hochschulen und Geschäftsführer des Erfurter Bildungsunternehmens Achtsam Digital. Zu seinen Lieblingsübungen gehört der Body Scan. „Es geht dabei um einfache Empfindungen wie zum Beispiel, dass der kleine Zeh kribbelt, der rechte Fuß sich warm anfühlt, der Rücken kaum zu spüren ist, der Nacken sich verspannt hat und der Kopf sich schwer anfühlt. Das kann – praktiziert man die Übung abends – bei Einschlafproblemen helfen. Über Tag führt der Body Scan zu mehr Wachheit, mehr Körperverbundenheit, mehr Erdung und Gelassenheit. Das funktioniert auch beim Sitzen im Zug oder in der Straßenbahn“, erklärt Mike Sandbothe, der große Stücke auf MBSR hält – Mindfulness-Based Stress Reduction.
Ursprünglich wurde das Programm in den 1970er-Jahren für Patienten entwickelt, die nicht nur unter körperlichen Problemen, sondern auch unter Stress und Angst leiden. Heute ist es ein weltweit anerkanntes System zur Stressreduzierung für jedermann – eine Mischung aus Achtsamkeitsmeditation und Yoga, die sich an den Bedürfnissen des einzelnen und seinem persönlichen Umgang mit Stress orientiert.
Wir haben ein paar Übungen für euch zusammengestellt, die euch helfen können, mehr Achtsamkeit im eigenen Leben zu entwickeln.
Hier eine kleine Auswahl von individuellen Achtsamkeitsübungen als Audio-Dateien – angeleitet von Mitgliedern des Achtsam.Digital-Teams rund um Mike Sandbothe.
Atemraum-Übung
Die Atemraum-Übung ist eine Meditation für unterwegs. Sie dauert nur ein paar Minuten und lässt sich im Alltag in fast allen Situationen durchführen. Dabei geht es um eine kurze Klärung des eigenen Gemütszustands, die Beobachtung der körperlichen Qualitäten von drei oder vier Atemzügen und die bewusste Wahrnehmung des eigenen Körpers insgesamt.
Atemraum-Übung (angeleitet von Reyk Albrecht)
Sitzmeditation
Die Sitzmeditation ist eine Übung, die sich anbietet, wenn die Atemraum-Übung schon zu einer alltäglichen Praxis geworden ist. Sie dauert 20 Minuten und wird an einem ruhigen und ungestörten Ort durchgeführt. Auf dem Stuhl oder auf dem Sitzkissen. In bewusster und zugleich bequemer Haltung. Eine grundlegende Form ist auch hier die wertfreie Beobachtung der eigenen Atmung. Sie verankert unsere Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt.
Sitzmeditation (angeleitet von Mike Sandbothe)
Body-Scan
Der Body-Scan ist eine geführte Reise durch den eigenen Körper. Es geht darum, die Umwelt auszublenden und sich ganz auf sich selbst zu konzentrieren, den Körper zu spüren – von den Füßen bis zum Kopf.
Die Übung beginnt beim großen Zeh und endet mit dem Scheitelpunkt der eigenen Schädeldecke.
Body Scan (angeleitet von Denisa Sandbothe)
Achtsames Gehen
Durch eine achtsame Gehmeditation kann man in Bewegung Ruhe finden. Anders als im Alltag, in dem wir von A nach B unterwegs sind, konzentriert sich unser Geist dann aufs Gehen selbst. Die Schritte werden langsamer, die Aufmerksamkeit auf die Gehbewegung fokussiert. Wann hebe ich den Fuß? Wie bewegt sich das Bein? Wie trete ich auf? Was passiert, wenn ich einige Schritte rückwärts gehe? Höre ich Geräusche? Nehme ich bestimmte Gerüche wahr?
Achtsames Gehen (angeleitet von Reyk Albrecht)
Weitere Informationen zum Team der Achtsam Digital unter https://achtsam.digital/
Für den Anfang eignen sich aber auch Entspannungsübungen, die man sehr gut innerhalb von zwei Minuten praktizieren kann.
Lassen Sie los
Atmen Sie langsam und tief durch die Nase ein. Ziehen Sie die Schultern so weit wie möglich nach oben und verharren Sie einige Sekunden in dieser Pose. Jetzt atmen Sie schnell durch die Nase aus und lassen Sie die Schultern dabei nach unten fallen. Wiederholen Sie die Übung mehrmals.
Arbeiten Sie an Ihrer Energie
Stellen Sie sich entspannt hin. Achten Sie darauf, die Füße für einen sicheren Stand breiter aufzustellen. Führen Sie beide Arme hinter den Rücken. Reiben Sie mit beiden Fäusten in kreisenden Bewegungen über den Rücken, bis Sie ein leichtes Wärmegefühl verspüren.
Atmen Sie bewusst
Legen Sie sich entspannt hin und legen Sie beide Handflächen nebeneinander auf den Ihren unteren Bauch. Atmen Sie langsam und tief ein, spüren Sie, wie sich Ihre Handflächen bewegen, wie sich Ihr Bauch beim Einatmen wölbt. Stellen Sie sich vor, dass Sie bei jedem Atemzug Energie in ihrem Unterbauch sammeln.
Achten Sie auf Ihre Umgebung
Versuchen Sie, Ihr Gesicht maximal zu entspannen und lächeln Sie dabei. Jetzt schließen Sie die Augen und stellen sich die Umgebung so genau wie möglich vor. Ist das Bild vor Ihrem inneren Auge entstanden, öffnen Sie die Lider und vergleichen Sie die Umgebung mit ihrem inneren Bild.
Titelbild: TuendeBede pixabay.de