Wer die Werkstatt von Martin Gobsch betritt, findet sich in einer ganzen anderen Welt wieder. Eben noch im modernen Trubel der Erfurter Krämerbrücke gefangen, tut sich nur wenige Schritte weiter eine Holzschnitzerwerkstatt auf, wie sie auch von meinem Urgroßvater hätte betrieben werden können. In Regalen hängen Handmeißel, Schnitzmesser und Stechbeitel in allen Größen. Viel Platz ist nicht. 22 Quadratmeter fasst die kleine Werkstatt. Kaum ist man zur Tür herein, steht man schon fast am Werktisch. Manchmal muss ihn Martin Gobsch absperren, damit neugierige Besucher ihm nicht zu sehr „auf die Pelle rücken“. Dennoch freut er sich über Gäste. Schließlich betreibt er eine Schauwerkstatt und möchte die Besucher für das alte Handwerk begeistern, das nur noch wenige beherrschen.

Nur ein Radio kündet von der modernen Zeit, die wenige Schritte vor seiner Tür auf der Erfurter Krämerbrücke stattfindet. Traumhaft schöne, großformatige Skizzen hängen an einer Wäscheleine von der Decke, denn Martin Gobsch kann nicht nur schnitzen, sondern auch zeichnen. Und wie. Eigentlich müsste er Bücher illustrieren, finden wir, als wir ihn besuchen. „Schöne Idee, aber dafür bin ich zu langsam“, sagt er mit leicht schmerzhaftem Lächeln. Was man nicht glauben mag, schaut man in die Gesichter seiner Bleistiftzeichnungen. Sie könnten aus Ludwig Bechsteins Märchenbüchern entsprungen sein. Da sind die Entwürfe seiner bösen Königin, die im Schaufenster lockt, oder der Wassermann, den er für eine Marionettenoper baut.

Ein Entwurf fesselt besonders: Es ist Rusalka, sein aktuelles Projekt. Die tschechische Undine ist die Hauptfigur der erfolgreichsten Oper von Antonin Dvořák. Sie endet ähnlich tragisch wie Andersens „Die kleine Seejungfrau“. Sechs Wochen lang hat er an der feingliedrigen Marionette mit dem wunderschönen Gesicht gearbeitet. Einiges hat sie ihm abverlangt, denn mit der traditionellen Marionetten-Schnitztechnik kam er hier nicht weiter. In einigen Szenen der Theaterproduktion wird sie auch nackt zu sehen sein.

Man erinnere sich: Die kleine Nixe, die ihre bezaubernde Stimme für ein paar Beine gibt, wird nackt an den Strand gespült, wo sie von einem Prinzen gefunden wird, den sie schon lange liebt. „Eine Marionette, bei der man alles sieht, das hat mir schon ordentlich Kopfzerbrechen bereitet“, sagt er. Und so hat Rusalka viele komplizierte Gelenke, die sie zum Leben erwecken, ihr eine besondere Grazie verleihen. Das war Martin Gobsch wichtig. Behutsam nimmt er die zarte Schönheit in die Hand, bewegt sie. Stundenlang könnte man ihm dabei zuschauen.
Die ganze Tragik der Figur wird schon in einer Armbewegung spürbar, der Torso scheint zu atmen, Rusalka sprechen zu wollen. Wunderschön, ganz im Stil des damaligen Zeitgeists, denn Dvořák schrieb seine Oper 1900 – zur Zeit des Jugendstils. Im März 1901 wurde das lyrische Märchen am Prager Nationaltheater uraufgeführt. Seitdem begeistert Rusalka die Besucher von Oper und Theater, Puppenspiel und szenischer Lesung.
Viele Skizzen waren notwendig, bis Martin Gobsch mit seiner Undine zufrieden war, bis sich ihre Tragik und Verletzlichkeit auch in den Gesichtszügen widerspiegelte. Erst dann griff er zum Schnitzmesser.
„Das Zeichnen ist das Schwierigste, lange sucht man nach der Gestalt, nach dem Charakter der Figur. Am aufwendigsten sind die Gesichter, sie sind aber auch das Interessanteste. Das Schnitzen ist dann nur noch die handwerkliche Umsetzung“, sagt er.
Rusalka ist – wie alle anderen seine Figuren auch – aus Lindenholz. „Das beste Holz zum Schnitzen. Es ist weich und gleichmäßig gewachsen. Viele Altarschnitzereien sind aus Lindenholz“, erzählt der junge Mann, der in vielen Büchern zur Künstleranatomie geblättert hat, bis ihm das dort Gezeigte in Fleisch und Blut überging.
Doch nicht nur das Äußere zeichnet Martin Gobsch an seinem Klemmbrett stehend in der hinteren Ecke der Werkstatt mit sicheren Strichen. Auch das hochkomplexe Innenleben muss erdacht und auf Papier gebannt werden. Holzspinte und Lederriemen, winzige Schrauben hauchen den mechanischen Theatern Leben ein, die Marionetten hingegen haben z. T. sehr aufwendige Gelenke.

Inspiration findet er in der Kunst der jeweiligen Epoche, in der das Stück spielen soll, aber auch auf der Straße, wenn er den Menschen ins Gesicht schaut. Ein hölzernes Abbild eines Menschen – egal ob Erfurter oder Tourist – wird man bei Martin Gobsch jedoch nicht finden. Vielmehr inspirieren ihn einzelne Züge, die er beim Zeichnen mit anderen Eindrücken verbindet. So ist auch der Wassermann entstanden, so die Hexe oder der Prinz und die beiden Schwestern Rusalkas. Einige der 14 Figuren seines aktuellen Auftrages lagern schon in Holzkisten. Drei Viertel des Auftrages sind fertig. „Im Moment arbeite ich am Krabat, danach kommt höchstwahrscheinlich noch ein mechanisches Bild für das Literaturmuseum in Heiligenstadt: ‚die Regentrude‘“, verrät Martin Gobsch.

Erst dann kann er sich auch wieder dem mechanischen Theater widmen, das er in einem Schaufenster in der Marktstraße, direkt neben der Kinder- und Jugendbibliothek, gebaut hat. Hier will er weiter an seiner Odyssee arbeiten. Die ist eigentlich schon fertig. Auf den leeren zwei Dritteln der Drehbühne fehlen aber noch „Der Sommernachtstraum“ und „Die Nibelungen“, sagt er. Dann will er dem Epos noch mehr an Gestalt verleihen, ähnlich dem Theatrum mundi auf der Krämerbrücke, das regelmäßig Kinder, aber auch Erwachsene in seinen Bann schlägt.

Viele Puppen hat er seit 2010 geschnitzt – damals richtete er seine kleine Schauwerkstatt auf der Erfurter Krämerbrücke ein. Marionetten, aber auch Handpuppen und Stabfiguren – für Theaterproduktionen in ganz Deutschland.
Der Weg zum Puppenschnitzer war steinig und erinnert ein bisschen an die Geduld von Märchenfiguren. Nach dem Abitur lernte er Möbeltischler, später qualifizierte er sich als Theaterplastiker. „Das allerdings ist eine ganz andere Welt. Mit Holz hat das wenig zu tun. Da geht es um Kulissenbilder, Säulen, Kapitelle, Styropor, Cuttermesser und exakte Maßstäbe: Mit den Freiräumen des Holzschnitzens ist das nicht zu vergleichen“, erzählt er. Danach arbeitete er sieben Jahre lang im Waidspeicher, lernte dort unglaublich viel von Udo Schneeweiß, dem damaligen Atelierleiter. „Das hat mich sehr geprägt“, sagt er und freut sich, dass er in diesem Jahr für den Waidspeicher „Krabat“ in Szene setzen darf.
Im Laufe der Jahre hat sich der 41-Jährige einen Ruf bei deutschen Puppenspieltheatern erworben. „Man lässt mir viele Freiräume, scheinbar gefällt meine Handschrift“, meint er bescheiden.
Fotos: Steve Bauerschmidt