Von der Form her zu „weich gelutscht“? Die Plastikverkleidung lässt sich nicht ausbeulen, wie beim damaligen Blechkleid? Kein Geräusch und kein Geruch? Unsere E-Schwalbe musste schon einiges an Kritik einstecken, wenn sie auf Messen zu sehen war. Die ist an manchen Punkten nicht unbegründet. Darunter höre ich jedoch immer wieder generalisierte Vorbehalte, die daraus erwachsen, dass früher eh alles besser war. Prinzipientreue stehen Neuem gern skeptisch gegenüber. Ich kann für meinen Geschmack, als Nach-Wende-Kind und als Kennerin beider Schwalbe-Varianten festhalten: an der neuen Schwalbe ist nicht immer alles automatisch schlecht. Grund also, das alte Modell und die Neuauflage einmal gegenüber zu stellen und pauschalisierten Vorwürfen Grund oder Gegenargumente zu bieten. Wir laden zum Rendezvous der Schwalben.
Schwergewicht versus Leichtgewicht
1964 wurde die erste Schwalbe in den Suhler Simsonwerken gebaut. Der „KR51“ (das steht für kleiner Roller mit einer Hubraumgröße von 5 und dessen erste Serie) hat bis heute Kultstatus. Verschiedene Ausführungen, wie „K“ für Komfort, „L“ für Luxus und „S“ mit halbautomatischer Schaltung, kamen bis 1984 auf den Markt. Die vollelektrische Neuauflage der Schwalbe produziert seit 2016 die Münchner Firma Govecs in Breslau. Unterschiedliche Varianten existieren bis dato nicht. Diesen Sommer erweitert ein bis zu 90 km/h schnelles Leichtkraftrad das E-Schwalbe-Portfolio – ohne Motorradführerschein lässt sich diese Turbo-Schwalbe dann aber nicht mehr fahren.
Der Motor der Schwalbe galt in den 60er Jahren mit seiner Bauart und den 3,6 Pferdestärken als absolutes Novum. Die Schaltung umfasst 3 oder 4 Gänge mit Fußschaltwippe, ganz frühe Modelle besitzen noch eine Handschaltung. Die neue E-Variante kommt auf 3,13 PS. Gänge entfallen bei der modernen E-Variante, dafür wählt der Fahrer zwischen drei verschiedenen Beschleunigungsmodi – Go, Cruise, Boost – oder erhält Anschubunterstützung mit Rangiergängen für vorwärts und rückwärts. Bei einem Gewicht von 130 Kilogramm ist das sehr hilfreich. Die alte Schwalbe ist mit 80 Kilogramm (bei vollem Tank!) doch um einiges leichter.

Bei Bastlern beliebt: die „alte“ Schwalbe
In Sachen Geschwindigkeit kann eindeutig die alte Schwalbe punkten. Mit 60 km/h flitzt sie schneller über den Asphalt. Am Berg muss sie wiederum ordentlich hochtourig gefahren werden, um wenigstens mit 30 km/h voran zu kommen. Bei der E-Schwalbe gibt es unabhängig von der Beschaffenheit des Weges kaum Geschwindigkeitsverluste. Generell erreicht sie die nach EU-Normierung maximal zulässige Geschwindigkeit von 45 km/h für Kleinkrafträder. Die alte Schwalbe gilt auch als Kleinkraftrad, obwohl sie mehr als 45 km/h die Stunde auf die Straße bringt. Für sie besteht eine Ausnahmeregelung durch den Einigungsvertrag von 1992.
Klar kann an einer alten Schwalbe, sollte sie einmal nicht mehr fahren, schnell etwas gemacht werden. Sofern man Ahnung hat! Im Moment bietet der Markt noch unzählige Ersatzteile für die alte Schwalbe. Rumbasteln geht bei der neuen Variante, wofür beispielsweise eine gesonderte Zertifizierung für die Reparatur vonnöten ist, nicht ganz so einfach. Dafür zeigt sie an, wenn ihr etwas fehlt. Mit einer App bekommt der Besitzer exakte Informationen oder die Reichweite angezeigt sowie einen Positionsdetektor, sollte sich ein Langfinger daran zu schaffen machen.
Mit der E-Schwalbe geräusch- und geruchlos in der Stadt unterwegs
Und wie fahren sich beide Gefährte? Die alte Variante braucht keinen ganz so gefühlvollen Umgang. Gänge werden reingetreten und nicht sanft geschalten, die Bremsen brauchen ordentlich Anzug, um voll zu greifen und in den Kickstarter muss beherzt getreten werden, damit die Schwalbe anspringt. Beim Schalten kommt es, wie bei jedem Auto mit manueller Schaltung auch, zu Verzögerungen. Mit der E-Schwalbe fährt es sich gewiss weniger ruckelig. Klar muss hier auch nicht gekuppelt und geschalten werden. Ihre Scheibenbremsen ziehen sofort an und geben dem Fahrer ein sicheres Gefühl. Der Wendekreis beim neuen Modell erscheint mir dagegen riesig. Da lobe ich mir die Wendigkeit des alten Modells. Was die Federung angeht: Der Popo schmerzte bei der neuen Variante weniger schlimm, was wohl an einer verbesserten Möglichkeit zur Federung und an der neuen Polsterung liegt.
Die Lautstärke der DDR-Variante finde ich gerade im Vergleich zur neuen Schwalbe nervig. Beim Üben mit dem alten Zweirad störe ich sicherlich die einen oder anderen Nachbarn . Hier liegt die E-Schwalbe eine Schnabellänge vorn. Gleiches gilt beim Geruch. Es mag ja Dämpfe geben, die gut riechen. Beim Zweitakter ist es der aber definitiv nicht – zumindest für mich.

Bessere Ausstattung, dafür mehr Plaste beim E-Modell
Zur Optik scheiden sich die Geister. Verständlich, denn sowas ist ja auch immer Geschmackssache. Die Neuauflage der Schwalbe erinnert in ihren Grundzügen noch an das alte Modell. „Kleiner Roller“ trifft für die E-Variante zumindest auf die Ausmaße bezogen nicht mehr zu. Diese ist im Vergleich zum DDR-Modell sehr massiv, einige Zentimeter länger und wiegt auch gute 50 Kilogramm mehr. Die angebotenen Farben klingen damals wie heute vielversprechend: Kirschrot, Tundragrau, Olivgrün oder Saharabraun damals; Rapsgelb, Cremeweiß, Opalgrün oder Lichtblau beim neuen Modell.

Die Produzenten der E-Schwalbe müssen viel Kritik einstecken, dabei hat das neue Modell auch seine Vorzüge – allen voran die Umweltfreundlichkeit. Hinzu kommen die einfache Bedienbarkeit, die verbaute innovative Technik und die Unabhängigkeit von Tankstellen und Benzin-Öl-Mischverhältnissen. Die E-Schwalbe hat Tradition und schafft es dennoch innovativ voran zu gehen. Damit eignet sie sich in besonderem Maße als grüner Botschafter. Klar ist sie mit ihrer Geschwindigkeit auf den Stadtverkehr begrenzt. Sicherlich sind früher viele Mutige mit ihrer 60-km/h DDR-Schwalbe Überland gefahren. Aber will man das bei dem heutigen Verkehr noch?
2.000 Euro kostet mittlerweile eine neu aufgebaute DDR-Variante, sofern keine von Opa in der Garage steht. Ab einem stolzen Preis von 5.200 Euro gibt es die E-Schwalbe. In Berlin kann man die Roller mittlerweile anmieten. Vielleicht ist das auch für Erfurt eine Option?
Mein Fazit: Fahren mit beiden macht definitiv Spaß. Für den ungeübten ist es mit der alten Schwalbe eine größere Herausforderung, der Spaß aber vorprogrammiert. Für den Stadtverkehr ist die E-Schwalbe super und ihre „geringe“ Geschwindigkeit vollkommen ausreichend. Mein Wunsch wäre nur, dass sie noch ein wenig abnimmt. Denn auf den Hauptständer bekomme ich die schwere Dame nicht gehoben. Auch meine alte Schwalbe rollt jetzt noch super. Doch frage ich mich, wie das in ein paar Jahren aussieht. Wird es immer jemanden geben, der daran basteln kann?

Fotos: Steve Bauerschmidt