„Gekommen um zu bleiben“ ist der Titel einer Sonderausstellung in der Alten Synagoge. Sie widmet sich der zweiten Erfurter Gemeinde. 1354 – nur fünf Jahre nach dem verheerenden Pogrom, bei dem aller Wahrscheinlichkeit nach alle Erfurter Juden umgebracht wurden – kommen neue nach Erfurt. 100 Jahre lang sollten sie die zweite Erfurter Gemeinde bilden und der Stadt zu neuer Blüte verhelfen. Doch was brachte sie dazu, sich an dem Ort schrecklicher Verbrechen niederzulassen, Familien zu gründen?

„Die Stadt selbst hat sich damals um die Neuansiedlung der Juden bemüht“, bringt Maria Stürzebecher, Kuratorin der Ausstellung, es auf den Punkt. Es war den Stadträten sogar sehr ernst damit. Da die alte Synagoge entweiht und zum Lagerhaus umfunktioniert war, baute man eine neue, direkt gegenüber der Stelle, an der heute die  Kleine Synagoge steht. Alte Stadtchroniken aus dem 17. Jahrhundert benennen das Gebäude noch, das später als Zeughaus genutzt wurde. Vermutlich fiel es später einem großen Stadtbrand zum Opfer.

Sogar Wohnhäuser wurden gebaut. Doch aus reiner Nächstenliebe holte man die Kinder Abrahams sicher nicht zurück in die Domstadt. Vielmehr war vermutlich die Judensteuer der Antrieb, ein Schutzzoll, den Juden an die Stadtoberhäupter zu zahlen hatten. Und solange es keine Juden in der Stadt gab, musste Erfurt das Schutzgeld selbst entrichten, denn der Judenschutz war vom Erzbistum Mainz lediglich an die Stadt verpachtet.

Und so strömten ab 1354 neue Bürger in die Stadt. Sie kamen aus Böhmen und Mähren, vor allem aus Breslau. Dort wurden sie gerade vertrieben. Vorrangig waren es Handwerker. Schreiber waren darunter, Köche, Buchbinder, eine Hebamme und Fial – ein Vorsänger – sind nachgewiesen, nicht nur Geldverleiher. Und dennoch lebten viele vom Schuldhandel, denn der Weg zu anderen Berufen war ihnen gesetzlich verwehrt. Quelle dieser Erkenntnisse ist das Erfurter Judenbuch, in dem die Mitglieder der neuen Gemeinde bis ins 15. Jahrhundert hinein akribisch aufgeführt sind. Schnell wuchs die Gemeinschaft. Zeitweilig war sie eine der größten im deutschsprachigen Raum. „Noch stehen wir ganz am Anfang der Forschung, aber einige Figuren haben tiefere Spuren als andere hinterlassen“, sagt Maria Stürzebecher. Abraham von Fulda, Shalam von Braunau oder Rachel von Magdeburg tauchen in den Quellen immer wieder auf.

Kostbare Pergamente

Vorrangig besteht die Ausstellung aus alten handschriftlichen Briefen, Schuldzetteln, alten Büchern, Urkunden. Wer mehr über die zweite Erfurter Gemeinde erfahren möchte und von Haus aus kein Historiker ist, braucht Geduld. Glänzende Ausstellungsstücke wird man hier nicht finden, auch wenn die Leihgaben aus Würzburg, Magdeburg und Berlin kommen. Dennoch sind die Urkunden kostbar, seltene Schätze, die Aufschluss über das jüdische Leben geben. Und so wird die Geschichte der Gemeinde eher verhalten erzählt. Wer sich Zeit nimmt, erfährt dennoch viel über die einzelnen Familien, über juristische Streitfälle, Persönliches.

Alte Synagoge , Sonderausstellung , Gekommen um zu bleiben? Die zweite jŸdische Gemeinde in Erfurt 1354 Ð 1454
Dr. Maria Stürzebecher mit einem wertvollen Original.

Ein Kartentisch zeigt die Quartiersentwicklung im 14. Jahrhundert. Dr. Barbara Perlich, von Haus aus Architektin und Bauforscherin, hat das ganze Viertel rund um das Steinerne Haus analysiert und kartografiert, wer in welcher Gasse, welchem Hause wohnte und nebenbei viel über die Erfurter Juden der zweiten Gemeinde herausgefunden und wie sehr sie Erfurt und nicht zuletzt seine Bürger prägten. Am 22. Februar können Interessierte ab 15 Uhr dabei sein, wenn Geschichte lebendig wird und mit ihr durch das frühere jüdische Wohngebiet wandern.

Alte Synagoge , Sonderausstellung , Gekommen um zu bleiben? Die zweite jŸdische Gemeinde in Erfurt 1354 Ð 1454
Der Kartentisch verrät viel über die mittelalterliche Quartiersentwicklung in Erfurt.

100 Jahre später verlassen die Juden die Stadt

Eine blühende wachsende Gemeinde also… Doch nach nur 100 Jahren fand alles ein jähes Ende. Innerhalb eines Jahres verließen sie Erfurt. 1454 kehrten die letzten Gemeindemitglieder der Stadt an der Gera den Rücken. Über 300 Jahre lang sollten hier keine Juden mehr leben. Doch warum dieses abrupte Ende? Warum ging die einst blühende, überregional ausstrahlende Gemeinschaft zugrunde? Wieso kam das geistige Leben zum Erliegen? Der Gründe gibt es viele. Die Stimmung verschlechterte sich. Juden hatten vermehrt mit Anfeindungen zu leben. Man wollte sie in Erfurt nicht mehr. Es nahm seinen Anfang mit dem Schuldentilgungsdokument von König Wenzel aus dem Jahre 1391. Im Zuge der Verordnung erfolgten vermehrt Schatzungen. Ältere Darlehen und Zinsen konnten um ein Viertel gekürzt werden, was nichts anderes hieß, als dass große Teile jüdischen Vermögens eingezogen wurden. Damit war den Familien, die vom Geldhandel lebten, zunehmend die Existenzgrundlage entzogen. Sie verarmten. Und wenige Jahre später kündigte der Erfurter Rat den Judenschutz auf.

Ein verschollener Schatz

Vieles ist in der Ausstellung dokumentiert, auch der zweite Erfurter Schatz. Vermutlich wurde er um 1370 vergraben. Erst beim Neubau des Rathauses wurde er 1876 entdeckt. Es ist der am besten dokumentierte Fund, der im 19. Jahrhundert ausgegraben wurde. Fein säuberlich wurde er verwogen und vermessen.

Über zwei Kilo reines Gold fasste der Hort, darunter ein großes goldenes Gefäß. „Wir wissen genau, was er beinhaltete. Und doch sind heute nur noch zwei Stücke erhalten: eine römische Goldmünze aus der Zeit um 284 n. Christus und die goldene Schließe eines Gewandbesatzes. 1878 wurde alles an einen Privatsammler verkauft. Nach 1885 verliert sich seine Spur“, bedauert Maria Stürzebecher. Die beiden klitzekleinen Originale liegen heute in Berlin. Wer mehr über den verschollenen Erfurter Schatz erfahren möchte, sollte ihren Vortrag am 8. Februar um 19.30 Uhr in der Alten Synagoge nicht verpassen.

Die Ausstellung ist bis zum 8. April 2018 dienstags bis sonntags in der Zeit von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Darüber hinaus gibt es ein ausgewähltes Begleitprogramm mit interessanten Vorträgen in der Alten Synagoge:

25. Januar 2018, 19:30 Uhr
Vortrag: Alles unter Kontrolle – Die Synagoge der zweiten jüdischen Gemeinde in Erfurt und der Synagogenbau nach 1350“
Dr. Simon Paulus, TU Berlin

8. Februar 2018, 19:30 Uhr
Vortrag: „Ein verschollener Schatz – Der Fund vom Erfurter Rathausbau 1876“
Dr. Maria Stürzebecher, Stadt Erfurt

22. Februar 2018, 16:00 Uhr
Führung: „…für das Haus unter dem Gang hinter die Schulen. Führung durch das Wohngebiet der zweiten jüdischen Gemeinde in Erfurt“
Dr. habil. Barbara Perlich

22. März 2018, 19:30 Uhr
Vortrag: „Hebräische Notizen und Rückvermerke an Urkunden aus Erfurt und anderen Städten des mittelalterlichen Reichsgebietes“
Andreas Lehnertz, Arye Maimon-Institut für Geschichte der Juden, Universität Trier

8. April 2018, 15:00 Uhr
Podiumsdiskussion „Gekommen um zu bleiben?“ – Die jüdische Gemeinde als Handlungsfeld politischer Mächte.
Dr. Anselm Hartinger und Hardy Eidam diskutieren mit Wissenschaftlern und Vertretern der Bürgerschaft

 

Mehr zum jüdischen Leben in Erfurt gibt es hier.

Fotos: Steve Bauerschmidt