Viele seltene Schätze hat Michael Nitschke, Betriebsleiter der EVAG, in seinem Fotoarchiv. Heute hat er für uns eine Momentaufnahme von 1984 herausgekramt. Entstanden ist das Bild auf der Flutgrabenbrücke am Talknoten. Wie immer hat er einiges dazu zu erzählen.

Zu sehen ist der Gelenkwagen 188, der drittletzte, neu nach Erfurt gelieferte G4 vom Waggonbau Gotha. Er läuft auf der Linie 11, die zwischen Nordbahnhof und Günterstraße den Takt im Berufsverkehr verdichtete und im aktuellen Jahr nur noch einzelne Fahrten realisierte – wenn sie denn stattfanden, permanenter Fahrer- und Fahrzeugmangel führten dazu, immer erst die Linie 11 „nackig“ zu machen…

In den 70er Jahren war man dazu übergegangen, die hellgrauen Dächer der Wagen mit einer schwarzen Bitumenfarbe zu versehen, einerseits weil hellgraue Farbe nicht immer verfügbar war, andererseits weil man nicht nur mit dem Abrieb der Stromabnehmerkohlen kämpfte, sondern die allgegenwärtige Umweltverschmutzung vorzeitiges Nachlackieren erfordert hätte, wofür keine Kapazitäten zur Verfügung standen. Der Zustand der Karosse berichtet von einem harten Alltagsgeschäft…

Angehängt ist einer der 18 Reko-Beiwagen aus dem RAW Schöneweide, die die EVB zwischen 1973 und 1975 erhielt. Diese Fahrzeuge hatten ihren Ursprung in einem gewaltigen Rekonstruktionsprogramm für die Berliner Verkehrsbetriebe, bei dem eine Vielzahl von Vorkriegstypen modernisiert und standardisiert werden sollten. Daraus erklären sich auch einige technische Besonderheiten der Fahrzeuge, die auch nicht geändert wurden als längst keine Altbauteile mehr zur Verwendung gelangten.

Nachdem der Waggonbau Gotha die Produktion eingestellt hatte, aber Bedarf an weiteren Zweiachsern zur Komplettierung vorhandener Fahrzeugparks bestand, wurden noch Fahrzeuge für andere Verkehrsbetriebe gebaut, unter anderem auch für Erfurt. Trotz Anlieferung von Achsen, Achshaltern, Kupplungen, Lampen, Klingeln u.ä. wurden größtenteils neue Bauteile verwendet. Die Entscheidung, diese Fahrzeuge zu beschaffen, muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass die Entwicklung der Tatra-KT4D nicht zeitgerecht lief, andererseits aber die vorhandenen Wagen zum Teil noch Vorkriegswagen waren, die am Ende ihrer Nutzbarkeit angekommen waren. Außerdem kam der Stichtag heran, zu dem Straßenbahnwagen Türschließeinrichtungen haben mussten. Und: Die Erschließung der neuen Wohngebiete im Norden der Stadt erforderte dringend den Einsatz von 3-Wagen-Zügen und es fehlte schlicht an den dafür benötigten Fahrzeugen.

Freude hatte man an den Rekowagen dennoch nicht. Das fehlende Untergestell – seit Mitte der 20er Jahre hatte man in Berlin darauf verzichtet – sparte zwar Wagengewicht, führte aber zu harten Laufeigenschaften mit entsprechender Geräuschbildung. Nicht exakt eingestellte Bremsen und die Weisung des Verkehrsministeriums zur Verwendung zylindrischer Radreifenprofile und die allerorts verlegten Großverbundplatten trugen ihren Teil dazu bei. Und der Fahrgast wurde mit einflügeligen Türen und Stufen zwischen Plattform und Wageninneren verwöhnt, ganz im Gegensatz zu den Gothawagen. Dennoch blieben die Wagen bis zur Abstellung aller Zweiachser im Planeinsatz, genau genommen wurden sie also 10 bis 15 Jahre alt. Und zu guter Letzt noch eine Anmerkung für den Insider: Da für jeden Rekowagen formell ein Spenderfahrzeug gebraucht wurde, erklärt dies den „Nummernsalat“ bei den Rekowagen, sie wurden entgegen vorhandener Praxis nicht fortlaufend eingenummert, sondern erhielten die Nummern ihrer Vorgänger. Damit konnte man dann statistisch ein bisschen mogeln, wenn das Durchschnittsalter der Fahrzeuge als Merkmal für die Bedürftigkeit bei Neufahrzeugen abgefragt wurde. Aber das ist schon wieder eine neue Geschichte.

Text: Michael Nitschke