Nie wieder werde ich ein „Neulich in Erfurt“ schreiben, weil mir einfach nichts Seltsames passiert. Dachte ich, starrte wehmütig in die Bäume und stieg in die Straßenbahn. Auf der Suche nach einem leeren Platz ließ ich mich neben einen nett aussehenden älteren Herrn in den Sitz fallen. Schnell schob er sein Wägelchen beiseite und sagte: „Nicht dass Sie noch hinfallen und ich Sie den ganzen Tag rumtragen muss.“ „Oder ich Sie verklage“ antwortete ich leichthin und ohne mir etwas dabei zu denken.

„Sie werden lachen“, antwortete er. Ich bin schon mal zu 150 Westmark Strafe verdonnert worden.“ Ich lächelte freundlich und dachte, ich könnte nun meinen Gedanken nachhängen. Doch er kramte in seinen Erinnerungen und begann sie mir beharrlich zu erzählen. Ich richtete mich darauf ein, hin und wieder freundlich zu nicken und gegebenenfalls ein „mh“ oder „Ach wirklich“ einzufügen, als er anfing, ins Detail zu gehen: „Ich sagte also zu den Jugendlichen, die mit ihren Füßen auf der Bank sitzen: ‚Na ihr Spinner. Ich wünsche euch, dass die ganze Bank voller Hundescheiße ist und ihr müsst euch reinsetzen‘“.

Irritiert schaute ich ihn an. Doch er ließ sich nicht beirren, erzählte, wie er den einen der Jungen nur leicht, ganz leicht  mit der Hand berührte und der plötzlich den Überkick kriegte und von der Bank kippte. Langsam wurde mir die Zufallsbegegnung unangenehm. Neben wen hatte ich mich da gesetzt? Er sah doch ganz harmlos aus. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Die Geschichte endete mit einem Tritt in den Bauch und einem dicken Dornenbusch.

Jetzt hatte er sich so richtig in Fahrt geredet. Auch ein süßes Kleinkind im Kinderwagen hörte ihm sehr genau zu. Mit skeptischer Miene lauschte es seinen Ausführungen über eine Richterin, die der nette Herr mit dem Wägelchen natürlich auch vor Gericht vorgeführt hatte. Ich begann mich zu fragen, wie der Tag oder vielmehr das Gespräch enden würde. Immerhin waren wir schon bei Geschichte Nummer 2.

Verschiedene Szenarien gingen mir durch den Kopf. Würde auch ich in einer Dornenhecke enden? Oder den Herrn am Ende vor Gericht wiedertreffen? Die Fahrgäste rundum verzogen keine Miene. Und als die dritte Geschichte ihren Lauf nahm, ergriff ich die Flucht. Ein Glück, dass es die Angerkreuzung gibt. Mit den Worten „Ich muss jetzt hier raus“, sprang ich auf und eilte zur Tür. Im Stillen gebot ich mir, nie mehr leichtfertig in ein Straßenbahngespräch einzusteigen und mir vorher jedes Wort genau zu überlegen. Was vermutlich wohl oder übel auf ein „Guten Tag“ oder „Auf Wiedersehen“ hinausläuft. Schade eigentlich. Sowas passiert mir jedenfalls nie wieder…