Zwei für eine sichere Stromversorgung

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Das Erfurter Stromnetz gilt als grundsolide. Doch die
Zukunft stellt die Netzbetreiber der Landeshauptstadt vor noch
nie dagewesene Herausforderungen. Hanno Rupp ist Abteilungsleiter Technik Stromnetz der SWE Netz GmbH, er erklärt wo Reserven vorhanden sind, wo es eng wird – und warum „einfach mehr Kupfer verlegen“ nicht die
alleinige Antwort sein kann.

„Unser Netz ist insgesamt in einem guten Zustand – auch im Vergleich zu anderen Städten. Seit 1990 haben wir nahezu das komplette Netz in der Landeshauptstadt erneuert“, sagt Hanno Rupp, seit 33 Jahren im Unternehmen. „Unser Netz ist robust. Wir müssen keine Herausforderungen scheuen – aber wir müssen vorausplanen.“

Das Erfurter Stromnetz ist beeindruckend: Es besteht aus rund 33 Kilometern Hochspannungsleitungen, 1.000 Kilometern Mittelspannungsleitungen (u. a. für Großabnehmer), ca. 2.100 Kilometern Niederspannungsleitungen (für Haushaltskunden), 950 Kilometern Datenkabelnetz, acht Umspannwerken, rund 1.100 Trafostationen (jährlich kommen bis zu 20 dazu), ca. 35.000 Hausanschlüssen, 4.500 Kabelverteilschränken, etc. Wachsende E-Mobilität (rund 1.000 Ladesäulen sind offiziell gemeldet), die Wärmewende, (also die Umstellung auf regenerative Energien wie zum Beispiel (rund 1.700 in den Häusern Erfurts), und immer mehr Photovoltaik (über 4.000 Einspeiser sind registriert) stellen die Verantwortlichen vor eine gewaltige Aufgabe. Diese zu bewältigen, geht nur mit akribischer Vorplanung.

Bereits 2019 ließen Rupp und sein Team typische Erfurter Wohn- und Gewerbequartiere untersuchen auf reale Netzdaten, Dach- und Parkflächen, vorhandene Belastungen etc. Rupp: „In fast allen Gebieten haben wir 30 bis 50 Prozent Kapazitätsreserven. Der Hochlauf der Elektromobilität kann stattfinden, ohne dass wir sofort überall schachten müssen.“ „Für Großanfragen etwa im Megawattbereich brauchen wir jedoch einen Ausbau des Netzes. Für den normalen Hausbesitzer, der sein E-Auto mit einer Wallbox laden will, ist der Anschluss in etwa 90 Prozent der Fälle schon jetzt möglich.“

Also, alles klar bei der E-Mobilität. Doch wie sieht es aus, wenn dank Wärmewende immer mehr Hausbesitzer, egal ob vom Einfamilien- oder Mehrfamilienhaus, eine Wärmepumpe einsetzen wollen? Die nutzt Strom, um Wärme zu produzieren. Bei höheren Minusgraden dann fast sogar mit einer Gleichzeitigkeit von 1. Dann können hohe Netzbelastungen im Niederspannungsnetz entstehen, auch gegebenenfalls Überlastungen bzw. Engpässe im Mittelspannungsnetz.

Die SWE Netz GmbH bereitet sich auch hier akribisch vor. Rupp: „Wir simulieren aktuell typische Erfurter Quartiere mit realen Netz- und Geodaten. Wo könnten Gasanschlüsse nicht mehr benötigt werden? Was passiert, wenn stattdessen elektrische Wärmeerzeugung angeschlossen wird? Kann man sogar ganz auf molekulare Gasenergie (noch Erdgas, später regenerativer Wasserstoff) verzichten? 180 Megawatt beträgt derzeit die Erfurter Spitzenbelastung im Stromnetz. Im Gasnetz sind dies derzeit zwischen 350 und 400 Megawatt nur im Gewerbe- und Haushaltsbereich. Vereinfacht gesagt, die Leistung im Gasbereich ist doppelt so hoch wie im Strombereich. Diese gewaltigen Mengen kämen rein rechnerisch noch oben drauf. „Das kann unser Stromnetz nur mit exorbitant hohem Aufwand und Investitionen leisten! Wir wollen keine Globalaussage wie ‚kein Problem‘ oder ‚nicht möglich‘ – wir wollen eine objektscharfe Detailbetrachtung.“ Und: „Wärmepumpen sind machbar – die Frage ist wo, wie viele, wirtschaftlich sinnvoll und ab wann. Das klären wir jetzt systematisch.“

Wasserstoff spielt eine wichtige Rolle.

Die Energiewende wird uns dann gelingen, wenn wir einen sinnvollen Mix aus allen Lösungsmöglichkeiten schaffen. Dabei spielt Wasserstoff auch eine wichtige Rolle. Denn eins müssen wir im Auge behalten, die Energie muss für die Bürger von Erfurt bezahlbar bleiben.

Seit gut zwei Jahren müssen Netzbetreiber mit 110 kV-Netzen und mehr als 100.000 direkt angeschlossenen Kunden an sogenannten Regionalszenarien und Netzausbauplänen mitarbeiten. Erfurt ist dabei, gehört zur Planungsregion Ost. Die Vorgaben betreffen u. a. regenerative Erzeugung, Wärmepumpen und E-Mobilität, mit Horizonten auf fünf und zehn Jahre und einem Ausblick bis 2045.

Hanno Rupp rechnet hoch. „Im Zehnjahresblick ergibt sich theoretisch rund 30 Prozent Netzausbau. Bis 2045 läge das nahe einer Verdoppelung.“ Diese Werte sind in die derzeitige Wirtschaftsplanung bis 2030 eingeflossen; die Maßnahmen laufen an. Wichtig: Die Szenarien müssen alle zwei Jahre aktualisiert werden – und die kommunale Wärmeplanung (wo kann mit welchem Energieträger klimaneutral und wirtschaftlich geheizt werden) fließt künftig auch mit ein. Der Stromnetzchef dazu: „Die Planungszyklen werden kürzer. Wir investieren nicht auf Verdacht – sondern auf einer belastbaren Datenbasis.“

Für die nächsten zehn Jahre erwartet Rupp zusätzlich zwei bis drei neue Umspannwerke, bis zu 150 neue Trafostationen, bis zu 50 Kilometer Mittelspannungsnetz (ein Kilometer kostet zurzeit zwischen 250.000 und 300.000 Euro). „Wir reden über mehrere Millionen Euro pro Jahr“, sagt Hanno Rupp. Dabei geht es nicht nur ums Geld, es geht auch um Bauraum, Personal, Tiefbaukapazitäten, Montagefirmen – Planung, Genehmigung, Bau und Betrieb.

Eine Lösung, um mögliche Lastspitzen oder Engpässe in einigen Ortsteilen zumindest teilweise abzufangen, wären netzdienliche Speicher im Bereich 1 bis 2 Megawatt – ihr Einsatz kann die Spannungsqualität stabilisieren, Einspeisespitzen glätten. Doch Netzbetreiber wie die SWE Netz können nur mit großen Hürden Speicher selbst betreiben, der Gesetzgeber wünscht sich private Investoren. Hanno Rupp: „In Töttelstädt arbeiten wir gerade mit einem Investor zusammen. Unser Netzanschluss ist gebaut; wir wollen sehen, wie netzdienliche Energiefahrpläne im Alltag wirken.“

Eine weitere Lösung sind steuerbare Verbrauchseinrichtungen wie Wärmepumpen, Klimaanlagen und Ladepunkte. Die könnten in Engpasslagen automatisiert gedimmt werden – gesteuert über die Smart-Meter-Infrastruktur. Diesen „Eingriff“ sieht der Gesetzgeber für die Netzbetreiber vor. „Es ist unser Job, aktuell, modern und seriös zu bleiben. Wir haben in der Vergangenheit schon viele anspruchsvolle Aufgaben gemeistert. Es gibt keinen Grund, warum uns das mit der Energiewende in der Stadt nicht auch gelingen sollte“, so Rupp.

Ein Blick in den Kabelkeller des Umspannungswerk Gispersleben. Die Kabel führen in die Stromnetze des Erfurter Nordens, versorgen ca. 15.000 Haushalte. Darunter ist der Moment zu sehen, in dem die neue Schaltanlage auf ihren Platz gebracht wurde. „Das war absolute Präzisionsarbeit“, sagt Hanno Rupp

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