Todo hecho a mano* – *Alles Handarbeit: Kurze, trockene Hammerschläge auf Stahl dröhnen durch die gewaltige Halle, immer wieder kreischt eine Flex, tausende winzige Funken blitzen kurz auf und verglühen genauso schnell wieder, zarte blaue Dunstschleier hinterlassend.

Ein Schweißer, geschützt durch schweren Helm und Spezialanzug, arbeitet an einem Stück Stahl, das blaue Licht, das von seinem Gerät ausgeht und das trotz der Hitze so kalt aussieht, spiegelt sich in seinem getönten Visier. Der leicht muffige Geruch von bearbeitetem Stahl, der ein wenig an den Geruch von Blut erinnert, wabert durch die Halle.

2AN_6771
Hochkonzentriert arbeitet Schweißer Victor Valera an der ersten „Caja“ (Wagenteil) einer Straßenbahn für Erfurt.

Hier, wenige Meter vom Mittelmeer und fast 2.000 Kilometer von der Gera entfernt, spielt Handarbeit („hecho a mano“ auf Spanisch) noch eine große Rolle. Denn auf dem Gelände des Schweizer Unternehmens Stadler werden Lokomotiven und Straßenbahnen gebaut, und die gibt es nicht von der Stange. „Wir sind keine Autofabrik, wo die Teile am Fließband hergestellt werden. Straßenbahnen zu bauen, ist wie Flugzeuge zu fertigen – da gibt es ganz viel Handarbeit, da spielen Roboter nur eine geringe Rolle“, sagt Jose Alhambra, technischer Leiter von Straßenbahnprojekten bei Stadler.

Und das gilt auch und vor allem für die 14 Straßenbahnen, die von Stadler für Erfurt gebaut werden. Spätestens zum Start der BUGA im April 2021 sollen die Trams fertig sein. Tranvia heißt Straßenbahn auf Spanisch, Tramlink heißt die Modellreihe, die Erfurt bestellt hat.

Und auch hier gibt’s Unterschiede, kein Auftrag ist gleich: „Jede Stadt hat naturgemäß andere Ansprüche an unsere Bahnen, wir müssen sie nach den Bedürfnissen der Kunden bauen“, sagt Alhambra. So auch Erfurt: „Die Altstadt ist eng, hat viele Kurven. Also muss der Wendekreis stimmen, der Tramlink für Erfurt kann enge Gleisbögen mit einem Mindestradius von 18 Metern durchfahren.“ Und dann die Herausforderung mit den alten Brücken in der Stadt: „Die Tramlinks haben eine hochfeste und extrem leichte Stahlkonstruktion, die Achslast darf nicht mehr als zehn Tonnen betragen.“ Mindestens eine Tonne weniger als üblich.

Die Frauen und Männer, die seit dem Produktionsstart vor wenigen Tagen an den Erfurter Bahnen Hand anlegen, fangen quasi bei Null an. Alhambra: „Es ist wie ein großer Modellbaukasten, bei dem man die mehr als 1.000 Teile, aus denen eine unserer Straßenbahnen besteht, Schritt für Schritt zusammenbaut.“ Viele Teile kommen aus dem Großraum von Valencia, das meiste allerdings ist „Made in Europe“: „Wir achten darauf, dass bei unseren Bahnen hohe Qualität verbaut wird – wir haben in der Branche einen sehr guten Ruf und wollen ihn natürlich behalten“, sagt Alhambra.

So kommt der Stahl (Duplex Edelstahl, sehr fest – extrem korrosionsbeständig) von einem finnischen Unternehmen, die Motoren (pro Wagen sind es sechs mit je 100 Kilowatt Leistung) werden in Österreich gebaut. Die Sitze für die Passagiere kommen aus Nördlingen (Bayern), der Fahrersitz ist eine Spezialanfertigung aus der Schweiz. Die elektrische Steuerung kommt aus Düsseldorf, die Stromabnehmer sind ebenfalls „Made in Germany“.

Rund 4 Millionen Euro kostet ein Tramlink (inklusive Ersatzteilpaket und Spezialwerkzeug). Die Wagen sind erheblich länger (42,5 m) als die Bahnen, die zurzeit in Erfurt unterwegs sind (ca. 30 m). Die Straßenbahnen mit metrischer Spurweite (1 m) sind behindertengerecht (100 Prozent Niederflurbauweise), haben besonders viele Sitzplätze (102 pro Zug). Insgesamt finden 248 Fahrgäste in den Wagen Platz. Durch fünf Doppel- und zwei Einzeltüren können die Fahrgäste ein- und aussteigen.

Unbenannt
Projektleiter Jose Alhambra erklärt Journal-Reporter Henry Köhlert den ersten Wagenkasten, der zurzeit in Valencia gebaut wird. Rund 1,5 Monate dauert es, dann ist der Kasten fertig und der nächste Produktionsschritt kann beginnen.

Platz für 248 Fahrgäste

Alhambra: „Weitere Vorteile unserer Bahnen sind Einsparungen beim Energieverbrauch und geringere Wartungskosten für Fahrzeug und Gleis. Sie fahren zum Beispiel sanfter durch Gleisbögen, das bedeutet weniger Verschleiß an Rädern und Gleisen.“ Gut für Anwohner und Fahrgäste: Die Bahnen sind besonders geräuscharm unterwegs.

Die Spanier sind stolz auf ihren Tramlink, der als Prototyp seit 2011 in Valencia seine Runden dreht: „Unser Unternehmen wächst, das Interesse an unseren Fahrzeugen ist groß. Und wir wissen, was wir tun – immerhin werden in Valencia seit fast 120 Jahren Lokomotiven und Schienenfahrzeuge gebaut.“ Stadler hat den Betrieb 2015 übernommen: „Wir sind schon vor 30 Jahren von der Innenstadt Valencias, wo wir fast 90 Jahre ansässig waren, an den Rand der Stadt gezogen. Hier haben wir mehr Platz, können weiter expandieren.“

Die Gegend, in denen die Erfurter Straßenbahnen entwickelt und produziert werden, ist ganz anders als die in der Mitte Thüringens. Rund um die Stadt herum liegen von der Sonne verwöhnte Berge, an fast 300 Tagen scheint sie hier. Das Licht ist irgendwie klarer, die Luft duftet nach Meer und den Kräutern des Südens.

An der einen Seite des Geländes von Stadler ist das Mittelmeer (nur getrennt durch eine Autobahn), an der anderen Seite gibt es jede Menge Obst- und Gemüsefelder – Orangen (angeblich die besten Spaniens!), Clementinen, Artischocken, verschiedene Salate und Zwiebeln. Im Süden der Stadt wächst in einem großen Süßwassergebiet Reis, kein Wunder, dass die Paella Nationalgericht der Region ist.

Doch für die Schönheit der Gegend haben die Ingenieure und Handwerker während des Jobs kaum einen Blick. Sie arbeiten entweder von 6 Uhr (Schichtbeginn) bis
14 Uhr oder von 14 bis 22 Uhr in einer der rund 17 m hohen und bis zu 170 m langen Hallen. Alhambra: „Unser Vorteil liegt darin, dass wir unsere Züge hier im Werk komplett zusammenbauen. Das bedeutet, dass Probleme und Herausforderungen zum Beispiel nicht über Videokonferenzen gelöst werden müssen, wir brauchen dafür nur von der einen in die andere Halle zu gehen. Wir kennen uns seit Jahren, vertrauen uns.“

Handarbeit als Qualitätsmerkmal

In der ersten Halle werden zum Beispiel die Fahrwerke nach den Plänen der Kollegen aus dem Verwaltungsgebäude gefertigt, eine Halle weiter, die Montagehalle, werden die Wagenkästen („Cajas“) aus verschiedenen Stahlteilen zusammengeschweißt – größtenteils mit der Hand.

„Manche Dinge kann ein Mensch einfach besser als die Maschine“, sagt Alhambra. Die einzelnen Produktionsstätten in der Halle sind mit großen roten Plastikvorhängen abgehängt: „Damit die Kollegen bei ihrer Arbeit nicht abgelenkt werden, aber auch, damit zum Beispiel Unbeteiligte beim Arbeiten mit der Flex nicht die Funken ins Gesicht bekommen.“

teresa_ingenieurin
Teresa Albelda Garcia (Foto Mitte) ist Ingenieurin, sie arbeitet an der Fahrwerkentwicklung.
_AN_2292
Eine Halle weiter besprechen Juan Carlos Garcia (links) und Victor Valera die nächsten Arbeitsschritte am Wagenkasten.

Zurzeit werden hier die ersten „Cajas“ für Erfurt zusammengeschweißt – neben denen, die zeitgleich für Lugano (Schweiz) hergestellt werden. Alhambra: „Auch da werden bald unsere Tramlinks fahren, wie jetzt schon in Chemnitz, Rostock oder in Gmunden, Österreich.“ Das vom Freistaat Thüringen geförderte Vorhaben wurde durch Mittel der Europäischen Union im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) kofinanziert.

Fotos: STADLER VALENCIA F. SIGNES (1), ALTHEA MEDIA (3), M. Berg (2)