Der Nahverkehr liegt seiner Familie wohl im Blut. Seine Uroma war in den 1940er-Jahren Straßenbahnschaffnerin, ein Großonkel arbeitete als Straßenbahnfahrer. Und seit 2000 ist auch Jörg Harder bei der EVAG. Anfangs lenkte er die 30 Tonnen schweren Bahnen selbst durch die Stadt. Später arbeitete er als Lehrfahrer. Inzwischen macht er komplett die Fahrschule. Wo ist denn da der Unterschied?

Jörg Harder lacht. „Das klingt ähnlich, ist es aber nicht“. Lehrfahrer sind mit auf dem Fahrzeug unterwegs. In den ersten fünf Wochen nach der Prüfung schauen sie den frisch gebackenen FIFs – so werden die Fachkräfte im Fahrbetrieb bei der EVAG genannt – über die Schulter, wenn sie ihre ersten Fahrten mit der Straßenbahn absolvieren. „Denn die Routine fehlt noch. Manchmal gibt es noch Unsicherheiten. Hier helfen die Lehrfahrer“, erklärt Jörg Harder.

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Die Straßenverkehrsregeln werden am Modell geübt. Jörg Harder mit Azubi Sebastian Karsch.

Als Fahrlehrer hingegen kümmert man sich um die ganze Fahrausbildung mit der Straßenbahn, vermittelt Theorie und Praxis. „Die Straßenbahnausbildung allerdings ist manchmal der letzte Schritt. Wenn die Azubis damit anfangen, haben sie den Busführerschein meistens schon in der Tasche“, sagt Jörg Harder. Denn die Ausbildung zur Fachkraft im Fahrbetrieb vereint die Kenntnisse des früheren Facharbeiters im städtischen Nahverkehr für Straßenbahn­fahrer und des Berufskraftfah­rers für Busfahrer. Als FiF ist man allerdings flexibler einsetzbar, sowohl auf dem Bus als auch in der Straßenbahn.

Obligatorisch ist auch ein Blick in die Werkstätten. „Denn wenn es an die Prüfungen geht, dann gilt es nicht nur, die Straßenbahn sicher zu beherrschen. Man muss auch in der Lage sein, kleinere Störungen zu beheben. Denn wenn man draußen ist, kann einem die Werkstatt auch nicht helfen. Dann muss es schnell gehen, um den Betrieb so wenig wie möglich aufzuhalten“, bringt es Jörg Harder auf den Punkt.

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Auch die technischen Details sind Bestandteil der Fahrprüfung. 

Und so sind zur ersten fachpraktischen Prüfung Störungen garantiert. Nur welche, das bestimmt das Zufallsprinzip. Möglich macht es ein Störsimulator, der auf dem Fahrschul-Fahrzeug installiert ist. „Egal ob feste Bremse, ausgefallener Antrieb oder Stromausfall. Die Prüflinge müssen Ruhe bewahren und wenn sie in der Ausbildung gut aufgepasst haben, dann sollte das alles kein Problem für sie sein“, sagt Jörg Harder, der in der Ausbildung vor allem auf Geduld und Motivation setzt.

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Mit Ruhe und Besonnenheit führt er die Azubis durch die Straßenbahnfahrschule.

Gut zehn Wochen dauert die Straßenbahnfahrschule inklusive Theorie und Praxis im Rahmen der Ausbildung zur Fachkraft im Fahrbetrieb. „Wichtig ist, dass die zukünftigen FiF’s lernen, vorausschauend zu fahren. Am Ende müssen sie immer ein Auge auf die anderen Verkehrsteilnehmer haben. Denn Straßenbahnfahrer haben eine sehr viel größere Verantwortung als Autofahrer. Ihre Aufgabe ist es, die Fahrgäste sicher ans Ziel zu bringen“, sagt Jörg Harder, der sich keinen schöneren Job vorstellen kann.

„Das macht richtig Spaß mit den Lehrlingen. Und wie stolz sie sind, wenn sie das erste Mal in der Fahrerkabine sitzen. Für viele geht damit ein Kindheitstraum in Erfüllung. So war es bei mir ja auch. Viele der Bus- und Bahnfahrer, die ich noch aus meiner Kindheit vom Sehen kenne, sind heute meine Kollegen“, sagt er.

Die Fahrschulausbildung ist nicht seine einzige Aufgabe. Auch der Dienstunterricht für Straßenbahn- und Busfahrer liegt in seiner Hand. Viermal im Jahr hat sich jeder Fahrer der EVAG einer Schulung zu unterziehen, um auf dem neuesten Stand bezüglich betrieblicher Anordnungen und der StVO zu sein. Die Überwachung der Tauglichkeit der Fahrer gehört ebenso zu seinen Aufgaben. Und auch die Fahrgastbeschwerden landen auf seinem Tisch. Außerdem ist Jörg Harder ehrenamtlich im Prüfungsausschuss der Industrie- und Handwerkskammer tätig. Thüringenweit nimmt er die Zwischen- und Abschlussprüfungen der FiFs ab.

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Modellbahnbau ist sein Hobby, von Kindheit an. Jedes Detail muss stimmen.

Geduld und eine ruhige Hand beweist der 40-Jährige übrigens auch in seiner Freizeit, wenn er seine Miniaturen baut. Klitzeklein sind die Straßenbahnen, die er originalgetreu nachbaut. „Tüfteln, basteln, selbst was schaffen, das hat mich schon immer fasziniert“, sagt er. Ganze Vitrinen hat er schon mit seinen Miniaturen gefüllt, Tatras, Niederflurwagen oder historische Fahrzeuge. Je mehr Modelle man baut, umso mehr wächst aber auch der persönliche Anspruch, erzählt der staatlich geprüfte Verkehrstechniker. „Ein bisschen perfektionistisch muss man da schon sein“, schmunzelt er.

Sogar eine ganze Stadt ist im Laufe der Jahre unter seinen Händen entstanden. Das Erfurter Wohngebietszentrum Rieth findet sich hier ebenso wie das Rundkino in Dresden oder das Haus des Lehrers in Berlin. „Die Stadt ist Fantasie, orientiert sich aber schon an der mitteldeutschen Architektur. Schwäbische Fachwerkhäuser wird man hier nicht finden“, lacht er. Drei Quadratmeter ist die Anlage groß, mit der er sogar schon im mdr-Fernsehen war.

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Gemeinsam mit Kathrin Weigelt macht Jörg Harder am Wochenende Musik.

Kaum zu glauben, dass er bei dem arbeitsintensiven Hobby noch Zeit für die Musik findet. Und doch ist es so. Gemeinsam mit Kathrin Weigelt betreibt er das Duo „Keys & Voices“ und ist an den Wochenenden mit Rock und Pop, Country und deutschen Kulthits auf Hochzeiten und Stadtfesten unterwegs. Und auch zur „Fête de la Musique“ waren die beiden in diesem Jahr dabei. „Das hat Spaß gemacht. Die Atmosphäre war toll“, sagt er.

Fotos: Barbara Neumann
Foto Musiker: Keys & Voices