Michael Nitschke, Betriebsleiter der EVAG, hat mal wieder in seinem Archiv gekramt und ein Foto aus den 1980er-Jahren von einem Güterzug auf Schienen in der Leninstraße entdeckt. Klar, dass er dazu wieder eine spannende Geschichte parat hat.
Als 1984 Gelenkwagen 21 und Beiwagen16 vor sehr morbider Kulisse in der heutigen Johannesstraße aufgenommen wurden, war das Ende des kommerziellen Güterverkehrs mit Straßenbahnen in Erfurt bereits abzusehen. 1982 aus der Not heraus geboren, unbedingt Kraftstoff einsparen zu müssen, wurden zunächst Schreibmaschinen von der Optima in der Rudolfstraße zum Nordbahnhof gefahren. Später kam noch Bier aus der Brauerei in der Schillerstraße zum Einkaufszentrum Rieth dazu.
Für die Schreibmaschinentransporte hatte man in der Schleife Günterstraße links vom Gleis eine hölzerne Laderampe gebaut, zu der die Transportkisten mit Gabelstaplern über die Straße gebracht und dann per Hand verladen wurden. Am Nordbahnhof hatte man ein Anschlussgleis an den Güterschuppen gebaut. Dort wurden die Schreibmaschinen dann zwischengelagert. Die Biertransporte waren noch anspruchsvoller: Da mangels Anschlussgleis auf der Schillerstraße beladen werden musste, konnte das nur in der Betriebsruhe nachts erfolgen. Entladen wurde dann allerdings erst vormittags im Rieth, dort war aus der Anfangszeit der Endstelle – es wurde rückwärts gedreht – noch ein Teil des Wendedreiecks vorhanden. Auf diesen Gleisstummel passten 2 Wagen und so wurde dort entladen und Gabelhubwagen und Gabelstapler das Bier zum Kaufhallenlager gebracht.
Eigentlich waren für die Gütertransporte 2 Beiwagen vorgesehen, außer dem im Bild zu sehenden Wagen 16 noch der Wagen 17, der auch als erster Güter transportierte. Die Verwendung des bereits seit 1981 zustandsbedingt abgestellten Gelenkwagens 185 ( Arbeitswagennummer 21) wurde erst später beschlossen, um die Transportkapazität weiter erhöhen zu können.
So schnell und zeitgemäß mit propagandistischen Trara versehen der Güterverkehr eingeführt wurde, so sang- und klanglos verschwand er wegen des personellen Aufwands wieder, obwohl er auch danach immer mal wieder in Konzeptionen zur Kraftstoffsubstitution auftauchte. Man hatte zumindest die Erfahrungen einfließen lassen und für den Bau eines Anschlussgleises in der Rudolfstraße in die Optima hinein an die Laderampe gab es bereits Bauunterlagen. Allerdings entzündeten sich an der Frage, wer für die Kosten und Bilanzen aufzukommen habe, die Gemüter der beteiligten Partner. Das muss nicht verwundern, reichten doch Mittel und Kapazitäten schon für den planmäßigen Unterhalt des Gleisnetzes nicht aus. Ebenso ungeklärt blieb die Frage, wer das Fahrpersonal zu stellen hatte – zu der Zeit fielen fast täglich wegen Fahrermangel Bahnen im Linienverkehr aus… Und so blieb es bei dieser kurzen Episode in Erfurt.
Dabei ist ein Güterverkehr mit Straßenbahnen nicht zwangsläufig ein Ausdruck von Kriegszeiten oder Mangelwirtschaft, wie man in Dresden sehen kann, wo Autoteile aus einem Lager mit einer Güterstraßenbahn zum innerstädtischen Werk („Gläserne Fabrik“) gebracht werden. In Leipzig und Dresden hatte Güterverkehr sogar über Jahrzehnte Bestand, weil wegen eines engmaschigen Netzes und spezieller Anschlussgleise eine Abwicklung außerhalb des Liniennetzes möglich war. Entscheidend aber ist, dass mit dem Güterverkehr mit der Straßenbahn kein Mehraufwand gegenüber dem LKW entstehen darf, also keine zusätzlichen Umladeprozesse, keine höheren Betriebskosten durch Personal, Fahrzeuge und Anlagen. Und dann darf natürlich auch der Linienverkehr nicht behindert oder eingeschränkt werden und es muss eine stadtverträgliche Gestaltung möglich sein. An diesen Anforderungen ändern auch neuere umweltpolitische Aspekte nichts. In einer Marktwirtschaft behauptet sich die ökonomisch vorteilhafteste Lösung.
Text: Michael Nitschke