Der Mann hat nicht nur einen Plan, sondern eine ganze Tasche voll. Unermüdlich zieht Nico Grudzielski ein Papier nach dem anderen hervor, bis er den Stapel nicht mehr halten kann. Er schaut sich um und entdeckt ein paar Schritte weiter einen rostigen Wasserwagen mit praktischer Seitenkante. Die wird mitten in der prallen Sonne zum notdürftigen Kartentisch für jeden Querschnitt, Längsschnitt, Durchschnitt, den Grudzielski zu bieten hat. Alles ist erfasst, und alles gehört zum Mühlgraben.

Alles ein Graben
Der Mühlgraben zweigt vor dem Wehr Teichmannshof aus der Gera ab, schlägt einen Bogen und fließt im Kiliani-Park in Gispersleben wieder in sie hinein. 1,75 Kilometer lang ist er – und drei bis fünf Meter breit.
Ob er wirklich eine Mühle betrieben hat, kann Nico Grudzielski nicht sagen. Dafür ist der Bauingenieur mit seinen 32 Jahren noch nicht lange genug dabei. Eventuell hatte der Graben etwas mit der Kühlung des Heizkraftwerks zu tun. Aber das steht nicht mehr. Abgerissen. Stattdessen wächst dort ein riesiger Park bis zur Bundesgartenschau 2021. Der Mühlgraben gehört dazu, er bleibt erhalten. Ein Gewässer zweiter Ordnung, für das die Stadt zuständig ist.

Ein Projekt von 25
Genauer gesagt die Abteilung Gewässerunterhaltung aus dem Garten- und Friedhofsamt. Seit fünf Jahren arbeitet Nico Grudzielski dort als Bauingenieur. Der Mühlgraben ist sein Projekt. „Eins von 25“, schätzt er. „Erfurt hat rund 315 Kilometer Gewässer zweiter Ordnung“. Das sind Gräben und Bächlein. Für die Gera und den Flutgraben ist das Land zuständig.
Grudzielski liebt seine Arbeit. „Ich bin dabei, noch bevor das Kind gezeugt wird – bis es dann voll erwachsen ist.“ So umschreibt er die Phase von den ersten Vorplanungen bis zur erfolgreichen Fertigstellung einer Baumaßnahme bis ins letzte Detail. Beim Mühlgraben steckt er mittendrin in der „Leistungsphase 3“. Die Entwürfe werden konkretisiert, Genehmigungen müssen eingeholt werden, erst dann wird zum Bauen ausgeschrieben. 2018 könnte es losgehen.

Natürlich natürlich!
„Am Mühlgraben geht es einerseits um die Renaturierung – also möglichst wenig Beton und dafür ein natürliches Bachbett. Auch mit dem Ziel eines geringen Unterhaltungsaufwandes. Das hat man früher mit Rasengitterplatten gemacht. Die kommen jetzt raus.“
Er überlegt kurz und setzt dann fort: „Und andererseits geht es um den Hochwasserschutz. Die Fließgeschwindigkeit ist in den Außenbereichen der Kurven am größten. Gerade dort wollen wir Erosion vermeiden. Darum vergrößern wir die Kurvenradien und sichern das Ufer mit Wasserbausteinen und durch ingenieurbiologische Bauweisen.“

Ingenieurbiologische Bauweisen – darunter kann sich der Laie nicht viel vorstellen. Grudzielski erklärt geduldig, dass da zum Beispiel Weiden angepflanzt werden, die mit ihren Wurzeln das Ufer auf natürliche Weise halten. Holzbuhnen helfen nach.
Speziell zur BUGA kommt neben der Renaturierung und dem Hochwasserschutz noch ein dritter Punkt hinzu: die Erlebbarkeit des Baches. Man soll ihn sehen und das Wasser direkt erreichen können.
Jedem Fisch seine Chance!
Zur Renaturierung holt der Mann von der Gewässerunterhaltung dann noch etwas weiter aus. Zu ihr gehört, dass die sogenannten „Wanderhindernisse“ für die Fische, die stromaufwärts ziehen, verschwinden. Zu viel Gegenstrom und zu hohe Absätze, im Fachjargon „Abstürze“ genannt, müssen beseitigt werden. Bis die Fische wieder freie Bahn haben – und rein theoretisch vom Meer bis an die Krämerbrücke und noch weiter gelangen könnten. Zu den Leitfischarten in diesem Bereich der Gera gehören Schmerle, Äsche, Gründling, Groppe oder auch Hasel. Sie alle sollten sich bei Nico Grudzielski bedanken.
Denn der Mühlgraben wird an einigen Stellen sogar dezent angehoben, um weniger Gefälle und damit weniger Strömung zu besitzen. „So haben kleine oder junge Fische auch eine Chance.“ Da ist sich der Experte sicher.

Ein echter Wasser(fach)mann
Er gerät ins Schwärmen von Fließgeschwindigkeiten, dem Schütz (das ist eine Art Falltür), mit dem sich der Mühlgraben-Pegel auch künftig regeln lässt, und von „HQ100“, dem Wert für ein statistisch mögliches Jahrhunderthochwasser. Man merkt: Nico Grudzielski ist mit Leib und Seele dabei. Ein echter Wasser(fach)mann! Und er kriegt nicht genug!
Begeistert erzählt er von der nächsten Baustelle: dem Marbach. Der wird gleich komplett um- und freigelegt. Wo jetzt noch eine stillgelegte Bahnstrecke an der Straße der Nationen vor sich hin rostet, plätschert in ein paar Jahren der Marbach munter in Richtung Gera. Nico Grudzielski strahlt: „Ein Wasserkraftwerk soll es dann auch dort geben. Ich freue mich darauf. Das wird gigantisch!“