Okay – ich geb’s zu: Sternegucken habe ich bis dato mit Dunkelheit verbunden. Mit Nacht und mit Romantik, mit dem Sitzen auf einer Parkbank oder mit meinem Großvater, der mir etwas vom Nachthimmel erzählt. Damals, als Pluto noch ein Planet war.

An einem sonnigen Samstagvormittag sind die Bedingungen für einen plötzlichen Dämmerungseinbruch allerdings naturgemäß nur unzureichend gegeben. Das bringt mich wiederum nicht schlecht zum Staunen: Genau dann habe ich mich mit den ‚Erfurter Sternfreunden‘ verabredet – in der Sternwarte auf dem egapark. Zum Sternegucken, das wurde mir versichert.

Nach einigen Holzstufen habe ich nun zumindest meinen Anteil der Romantik, der für mich zur Astronomie gehört: Im zweiten Festungsturm der alten Cyriaksburg ist eine ganze Etage festlich für eine Hochzeit geschmückt. Eine mystische Kulisse, ein bisschen abseits vom Alltag am Gothaer Platz – mit dem Blick durch die Schießscharten auf die Wasserachse der Blumenschau. Ich verweile, betrachte die floralen Gestecke. Aber mein Ziel liegt höher: Zwei Stockwerke oberhalb des kleinen Festsaals, auf dem Dach des Turmes, erwarten mich Axel Haubeis und Jan Lalek unter der fünf Meter weiten Kuppel der Volkssternwarte. Sie steht einen Spalt offen, so dass das Sonnenlicht die Holzkonstruktion im Inneren hervorhebt: „Sie ist teilweise schon undicht, deswegen haben wir auch eine Plane zur Abdeckung aufgehängt“, erklärt Haubeis. Ein Wassereinbruch hier, direkt über dem Teleskop, wäre wohl ein folgenschweres Problem für die Himmelsbeobachter.

Die Himmelsbeobachter, das sind die ‚Erfurter Sternfreunde‘. Axel Haubeis ist Vorsitzender des 1992 gegründeten Vereins von Ehrenamtlichen, dessen Mitglieder sich die Instandhaltung und den Betrieb der Sternwarte zur Aufgabe gemacht haben. Von ihnen wurde auch das Herzstück in der Mitte der Kuppel vor 6 Jahren komplett restauriert. Der 106 Jahre alte Refraktor, wie er in der Fachsprache heißt, funktioniert seitdem tadellos: „Schmieren muss man ihn ab und zu, bei kalter Witterung härtet sonst das Fett aus“, erzählt der 57-jährige. Er weiß auch von der Geschichte des Fernrohrs zu berichten: Das 1911 von Zeiss in Jena hergestellte Instrument gehörte eigentlich der Oberrealschule Erfurt. „Damals hat es über 5.000 Reichsmark gekostet – fast so viel wie ein ganzes Haus. Möglich war die Anschaffung nur über Spenden“, so der Mathematik- und Physiklehrer. Nach einer Zwischenstation auf der Wasserburg Kapellendorf kam es 1950 nach Erfurt.

Seinen Schülern bringt Axel Haubeis mit den beiden naturwissenschaftlichen Fächern auch Astronomie näher – doch auch Privat lässt ihn die Faszination für den Tages- und Nachthimmel nicht los. An seinem Grundstück in Riethnordhausen hat er sich ein eigenes Observatorium gebaut – was er heute hauptsächlich für die Kleinplanetenbeobachtung nutzt. Kleinplanetenbeobachtung? „Man ging mal davon aus, dass es rund 20.000 gibt – heute weiß man von 700.000. Und es kommen täglich mehrere Neue hinzu“, fügt Haubeis an. Wie das möglich ist? Technischer Fortschritt. Natürlich.

Das weiß auch Jan Lalek: Der ‚Sternengucker‘, wie er sich selbst nennt, erklärt Johann Kuhn, einem der interessierten Besucher, die Funktionsweise des neuen H-Alpha-Filters, der am großen Sternwartenteleskop angebracht ist. Rund 1.200 Euro kostet das nur handtellergroße Bauteil – mit nichtsdestotrotz enormer Wirkung. „Sonnenlicht wird hier nur in einem ganz bestimmten Spektralbereich durchgelassen, deswegen wirkt es auch so rötlich“, sagt der Sternenfreund. Physikunterricht zum anschauen, im besten Sinne des Wortes. Und – Sternenbeobachtung am helllichten Tag.

Auch ich darf durch das große Linsenteleskop sehen: „Ein Auge verschließen, mit der Hand“, instruiert mich Lalek. „Und mit ein bisschen Glück sieht man sogar auf 6 Uhr einen Materialauswurf der Sonne!“ Ich hatte Glück. Und komme wieder – in ein verstecktes Kleinod, mitten im egapark.

Text und Fotos: Benedikt Pototzky