… kommt man mit Manneskraft nicht weit: 34.000 Kilogramm Leergewicht. Über 30 Meter Aluminium auf der Schiene. Das schiebt keiner. Damit die Strecke trotzdem schnell wieder frei wird, legen sich die Kollegen von der EVAG richtig ins Zeug. Wir waren bei einer Übung dabei und zeigen, wie eine Straßenbahn in Erfurt abgeschleppt wird.
Zwischen EVAG-Kollegen funkt es
„Hier Wagen 611. Standort Andreasstraße stadteinwärts. Keine Fahrspannung vorhanden. Fahrzeug steht still.“
Wenn dieser oder ein ähnlicher Funkspruch eines Straßenbahnfahrers in der Leitstelle der EVAG eingeht, dann zählt jede Minute. Deswegen sitzen in der Leitstelle am Urbicher Kreuz rund um die Uhr Disponenten. Disponenten koordinieren die Stadtbahnen und Busse in Erfurt. Sie überwachen den gesamten öffentlichen Personennahverkehr. Ähnlich wie der Tower bei Flughäfen. Dafür stehen sie im ständigen Funkkontakt mit allen Bus- und Straßenbahnfahrern.

Bei Problemen wie Falschparkern, Unfällen, umgestürzten Bäumen auf der Straße oder liegengebliebenen Stadtbahnen führt der direkte Draht der Fahrer immer zur EVAG-Leitstelle, zu einem der Disponenten. Bei Stoßzeiten kommt da Einiges zusammen.
Disponenten müssen daher immer einen kühlen Kopf bewahren: Was ist wo wirklich passiert? Wird weitere Hilfe benötigt? Braucht es ein Ersatzfahrzeug? Und wie können andere Busse oder Stadtbahnen das Gebiet umfahren? Das und mehr müssen sie in Sekundenschnelle entscheiden und in die Wege leiten – oder auf die Schiene 😉
Wenn etwas passiert ist und Hilfe benötigt wird, informiert die Leitstelle direkt die Verkehrsdispatcher. Verkehrsdispatcher wiederum sind die „gelben Engel“ der EVAG, das „Schweizer-Taschenmesser“, der verlängerte Arm der Leitstelle. Sie leisten erste Hilfe, reparieren defekte Fahrzeuge, regeln den Verkehr und sind auch mal Seelsorger. Deshalb dürfen sie bei Gefahr im Verzug sogar mit Blaulicht fahren. Auch, wenn eine Stadtbahn nicht mehr will, sind die Allrounder die ersten vor Ort. Was passiert dann?

Eine Zeremonie in 8 Akten
Wie überall gilt erst einmal „Safety first“. Der Ort, wo die defekte Bahn steht, wird gesichert. Das passiert ganz einfach durch Signallichter am Auto des Verkehrsdispatchers und der Warnblinkanlage der Straßenbahn. Dann sprechen sich Fahrer, Verkehrsdispatcher und Leitstelle ab: Muss die defekte Bahn wirklich abgeschleppt werden? Wenn ja, wo ist die nächste Wendeschleife oder der nächste Betriebshof? Wie kann eine fahrtüchtige Bahn an die defekte heranfahren?
Das Gute ist, dass kein spezielles Abschleppfahrzeug benötigt wird. Es reicht, eine Stadtbahn mit der defekten zu koppeln. Übrigens: Je nachdem, ob sie von vorne oder hinten anfährt, sprechen die EVAG-Kollegen vom Abschleppen oder Abschieben.
Das Abschieben (defekte Bahn vorn, funktionierende hinten) ist aber um einiges schwieriger als das Abschleppen (defekte Bahn hinten, funktionierende vorn). Warum ist das so? Ganz einfach: Nur der Fahrer hinten kann das Gespann beschleunigen – und abbremsen. Schwierig ist, dass er nicht sieht, was vor den Bahnen los ist. Deswegen ist es umso wichtiger, dass die Kollegen kommunizieren und sich blind vertrauen können.
Der Fahrer in der defekten Stadtbahn, meistens übernimmt hier der Verkehrsdispatcher, gibt daher Anweisungen an den hinteren Fahrer. Sie müssen sich genau absprechen, wie schnell sie fahren können, wann sie bremsen müssen und was allgemein im Straßenverkehr los ist. Dass das alles nicht so einfach ist, zeigt unser Video vom Abschieben. Schaut mal rein:
Ganz ehrlich: Ich konnte kaum glauben, wie schnell Thomas Fiedler und Gert Zimmermann die Prozedur beendet hatten. Eigentlich wollte ich die Schritte gemütlich filmen und fotografieren. Letztlich war ich derjenige, der das Abschieben gebremst hatte. Schon blöd. Aber gut zu wissen, dass da echte Profis am Werk sind.
Warum bleibt eine Straßenbahn eigentlich liegen?

Es ist wie beim eigenen Auto. Die Ursachen können sehr vielfältig sein. Außer einem „Platten“ ist fast alles möglich: Hydraulikschaden, defekter Motor oder ein gebrochener Stromabnehmer. Was klar ist: Sobald es einen Defekt gibt, schaltet die Stadtbahn auf stur – ihre Bremsen blockieren. Da geht nichts mehr. Und das ist auch gut so. Ansonsten könnte sie bei Neigung ins Rollen geraten. Nicht auszumalen, was da passieren könnte. Deswegen müssen die Bremsen – Federspeicher wie es im Fachjargon heißt – erst gelöst werden. Das geht durch eine Hydraulikpumpe, wie es im Video zu sehen ist. Diese Pumpe ist übrigens die einzige Möglichkeit für den Fahrer der defekten Bahn, das Gespann zu stoppen. Ist eine Notbremsung nötig, entlässt er die Hydraulikflüssigkeit, die Federspeicher legen an und die Bahnen kommen zum Stehen.
Wie oft muss eine Stadtbahn abgeschleppt oder abgeschoben werden?

Selten. Wirklich selten. Verglichen mit dem, was sie täglich leisten: Unsere 76 Stadtbahnen fahren auf 6 Linien rund 22.600 Kilometer (!) pro Tag. Dabei befördern sie pro Werktag circa 140.000 Menschen in Erfurt. In einer Woche kommen sie auf über 135.000 Kilometer. In meinen Augen eine ganz schöne Hausnummer. Klar, dass es da mal zu einem Problem kommen kann. Im Durchschnitt müssen unsere Verkehrsdispatcher rund einmal pro Woche ausrücken, um eine stehengebliebene Bahn abzuschieben oder abzuschleppen.
Was haben wir gelernt?
Eine liegengebliebene Bahn ist unangenehm. Für euch. Für uns. Eine liegengebliebene Bahn ist aber auch kein Beinbruch. Ich kann aus Überzeugung sagen: Unsere Jungs und Mädels sind gut ausgebildet und geben richtig Gas, wenn es einmal Probleme gibt! Sie selbst möchten, dass alles so schnell wie möglich wieder funktioniert. Dabei müssen sie sehr sorgfältig vorgehen. Wir alle sollten also ein wenig Verständnis haben und entspannter sein, wenn es irgendwo mal wieder klemmt…