Historie ist sein Ding, erst recht, wenn es um alte Straßenbahnen und Busse geht. Für uns kramt Michael Nitschke, Betriebsleiter der EVAG, in seinem Archiv. Diesmal hat er eine Linie für die Kavallerie ausgebuddelt…
Vor dem ersten Weltkrieg zählten Offiziere durchaus zum zahlungskräftigen Publikum eines Verkehrsbetriebes. Und diese Herrschaften mussten, überall in der Stadt wohnend, ja allmorgentlich zur Kaserne und nach Dienstende wieder zurück gelangen, nicht selten gab es auch eine Mittagspause zu Hause…
Es liegt also nahe, dass sich die Erfurter Straßenbahn Gedanken um dieses zahlungskräftige Klientel machte und so wie andernorts auch waren Militäreinrichtungen lohnenswerte Ziele eines Verkehrsbetriebs. An einfache Soldaten wurde dabei eher weniger gedacht, die wohnten ja in der Kaserne, quasi vor Ort.
Und so wurde 1912 eine neue Linie in Betrieb genommen, die als braune Linie in der Blücherstraße (die heutige Breitscheidstraße) im Norden der Stadt beginnend, die östliche Stadt tangierend, über den Hauptbahnhof zur Kavalleriekaserne in der Epinaistraße/Jägerstraße ( die heißen heute Ebertstraße/Kollwitzstraße) verkehrte.
An dem südlichen Linienast hatte das Verkehrsunternehmen nicht lange Freude, denn mit Ausbruch des Krieges mussten auch die Kavalleristen ins Feld. Noch im Dezember 1918 wurde deshalb nach Einstellung des Verkehrs zwischen Melchendorfer Straße und Kaserne das Gleis ausgebaut und für Instandsetzungen an anderer Stelle verwendet. Erst 1935 wird die Strecke, nun zweigleisig; zur jetzt Tannenwald (ab 1936 Jägerstraße) genannten Endstelle wieder verlängert, inzwischen hat sich allerdings auch die Bebauung im Umfeld geändert.
Auf unserem handkolorierten Bild von 1912 sieht man rechts die Kasernenbauten, die größtenteils ja heute noch stehen, aber einer friedlichen Verwendung zugeführt wurden und links das Sackgleis der Endstelle, aufgrund der Höhendifferenzen neben der Straße angelegt. Bei der Betriebsaufnahme der braunen Linie ist man von Solowagen ausgegangen, weswegen erstens 9 größere Triebwagen ( TW 57-65 ) beschafft wurden, andererseits beide Endstellen keine Umfahrungsgleise zum Umkuppeln von Beiwagen hatten. Fallweise mitgeführte Beiwagen waren daher in der letzten Ausweichmöglichkeit an der Melchendorfer Straße zurückzulassen.
1942 wurden übrigens die beiden südlichen Endpunkte der Linien 3 und 4 getauscht und an der Jägerstraße 1943 die erste Wendeschleife der Erfurter Straßenbahn gebaut als Voraussetzung für den geplante Einrichtungsbetrieb. Aber darüber hatten wir im Zusammenhang mit dem Triebwagen 105 ja schon berichtet. Die Endschleife an der nach dem Krieg in Käthe-Kollwitz-Straße umbenannten Endstelle hatte bis 1979 Bestand und sicher werden sich ältere Erfurter noch an die durch die enge Schleife kreischenden Gotha-Wagen erinnern….