Kaufen, kaufen, kaufen – ständig wird uns erklärt, was wir brauchen, um wirklich und vollkommen zufrieden zu sein. Überall Werbebotschaften: nicht nur im Fernsehen und Radio. Auch im Social Web, das immer genau zu wissen scheint, wonach uns gerade dürstet. Dabei braucht man in Zeiten von Konsum und Kommerz doch so wenig, um wirklich glücklich zu sein.
Vielleicht kennen Sie es ja auch? Mich jedenfalls durchströmt jedes Mal ein wohliges Gefühl, wenn ich zum Kauf eine Plastiktüte dazubekomme. Das macht mich fast glücklicher als jeder Rabatt. Es hat etwas Elektrisierendes, fast Verbotenes, wenn mir der Verkäufer zuraunt: „Kommen Sie, ich gebe Ihnen mal eine Tüte.“ Eine Plastiktüte, die nichts kostet. Das lässt mein Herz in Zeiten konsequenter Abfallvermeidung verräterisch klopfen. Inzwischen habe ich eine ganz andere, sehr persönliche Bindung an meine Plastiktüten entwickelt, egal, ob sie bunt, gepunktet oder kariert, schwarz-weiß, groß oder klein sind. Ich weiß genau, wann und wo ich sie bekommen und was ich darin nach Hause getragen habe. Und am Ende landen sie natürlich nicht in der gelben Tonne, sondern erfreuen sich eines nachhaltigen Lebens, auch lange nach dem fast vergessenen Konsumrausch. Denn anders als früher, als man aus einem unerschöpflichen Arsenal auswählen konnte (schließlich wurden sie unsereins einst überall aufgedrängt), sind Plastiktüten inzwischen Mangelware, zumindest bei mir.
Ich hüte sie wie einen kostbaren Schatz. Wenn ich also nach einer meiner inzwischen so wertvollen, fast unersetzlichen Tüten schaue, überlege ich genau, wofür ich sie wiederverwende. Die schönen natürlich bleiben mir vorbehalten. Mit ihnen sind Geschichten verbunden, von Stimmungen und Einkaufsgefühlen. Schließlich kann ich mich so viel länger an ihnen erfreuen, anders, als wenn ich sie in den Kindergarten oder anderswohin trage, in der traurigen Gewissheit, sie niemals wiederzusehen.
Ein bisschen fühle ich mich an meine Jugend erinnert. Auch damals hatten Plastiktüten eine ganz besondere Bedeutung für mich und meine Freunde. Mit stolzgeschwellter Brust trugen wir unsere Schulbücher in Plastiktüten durch die Gegend, erfreuten uns an den im Westen so schnöden Aufdrucken von Aldi, Tengelmann, Kaisers & Co. Mein Gott! Waren wir cool! Monatelange pflegten wir diese Objekte der Begierde, die uns als willkommene Nebenwirkungen von Westpaketen ins Haus flatterten. Und wie haben wir sie vor unseren Lehrern verteidigt, wenn wir sie umdrehen, das Innerste nach außen kehren mussten, damit die Werbeaufdrucke des damaligen „Klassenfeindes“ nicht mehr zu sehen waren. Das waren noch Zeiten. Wer weiß, vielleicht gibt es ja eine Renaissance der Plastiktüte. Immerhin war sie vor langer Zeit ein sehr erstrebenswertes Kulturgut…