20 Jahre Herbstlese, das sind nicht nur 878 Lesungen und 197.357 Besucher in zwei Jahrzehnten. Der Erfurter Leseherbst steht auch für unzählige Begegnungen mit Lesern und Autoren, für schräge Geschichten und Anekdoten. Wir haben Dirk Löhr ins Kreuzverhör genommen. Er ist nicht nur einer der Wegbereiter der ersten Stunde, sondern auch ein enger Freund von Michael John, der die Herbstlese wie kein zweiter geprägt hat.
Wenn Dirk Löhr anfängt zu plaudern, kommt er vom Hundertsten ins Tausendste. Kaum ist die eine Geschichte angerissen, folgt auch schon die nächste Anekdote. Stundenlang könnte man ihm zuhören. Schier unerschöpflich ist sein Arsenal an Begebenheiten, die in enger Verbindung mit der renommierten Lesereihe stehen. Immer ist aber auch ein bisschen Wehmut dabei, wenn er aus der Anfangszeit berichtet.

Von Jahr zu Jahr ist die Erfurter Herbstlese gewachsen. „Ohne unsere Partner wäre das nicht möglich gewesen. Vor allem die Stadtwerke haben uns von Anfang an unterstützt“, sagt der Vorsitzende des Herbstlesevereins. Der Erfolg der Herbstlese führte aber auch dazu, dass man sich von lieb gewordenen Veranstaltungsorten trennen musste. Die Engelsburg zum Beispiel. „Eine tolle Atmosphäre, aber leider inzwischen viel zu klein“, bedauert Dirk Löhr. Früher war auch nach den Lesungen meistens noch nicht Schluss. „Aber bei 60, 70 Lesungen schaffen wir es gar nicht mehr, im Anschluss mit jedem Autor essen zu gehen. Das ist schon schade“, meint er.
Die Autoren sind nur noch selten direkte Ansprechpartner. Der Kontakt zu Agenturen und Verlagen ist immer wichtiger geworden. Das war früher anders. Mit Sven Regener zum Beispiel haben sie ganze Nächte zusammengesessen, lange bevor er deutschlandweit bekannt wurde. Sein bester Kumpel war damals sein Agent und Fahrer. „Das war immer sehr eng und persönlich“, meint Dirk Löhr. Heute ist alles viel professioneller. Dabei bleibt das Persönliche manchmal auch auf der Strecke.
An den Auftakt vor 20 Jahren erinnert er sich noch genau. Peter Glotz, Gründungsrektor der neuen Uni Erfurt, hatte es doch tatsächlich geschafft, den Literaturpapst höchstpersönlich nach Erfurt zu holen. „Wir hatten gerade mal 10 Veranstaltungen geplant und keine Ahnung, wie die Erfurter die Lesereihe annehmen. Und Marcel Reich-Ranicki kam wirklich. Der Abend in der Reglerkirche war einfach nur kalt. Ich weiß noch, wie er in der Mitte der Kirche stand und frei völlig druckreif sprach. Nach 35 Minuten war er zwar schon fertig, aber er war großartig“, erzählt Dirk Löhr und hält stolz das Buch mit seinem Signum hoch. „Es lebe die Erfurter Herbstlese“ hat Marcel Reich-Ranicki hineingeschrieben. Das muss ich ihm glauben, denn lesen kann man das Gekrakel nicht. „Der Mann war völlig durchgefroren und konnte am Ende kaum noch Autogramme schreiben, so steif waren seine Finger“, erzählt er.
Aber auch Flexibilität ist immer wieder gefragt, vor allem in solchen Momenten, in denen ein Autor anruft und sagt: „Ich steh in Riesa auf dem Bahnhof. Es fahren keine Züge mehr“ – und das zwei Stunden, bevor die Lesung in Erfurt beginnen sollte. So geschehen mit Manfred Lütz. Der Kabarettist fuhr schließlich mit dem Taxi, und Michael John unterhielt das Publikum eine Stunde lang mit Geschichten, bis gegen 21 Uhr die Tür aufflog und Manfred Lütz mit wehenden Haaren eintrat, übernahm und den Saal rockte.
Oder Sarah Wiener, die statt in den Express- in den Bummelzug stieg und sich plötzlich in Leinefelde wiederfand. Am Ende war sie fast pünktlich zu ihrer Lesung im Atrium der Stadtwerke, dank der engen Bindung des Festivals an die Thüringer Allgemeine. Denn zum Glück gab es auch im Eichsfeld in Leinefelde eine TA-Redaktion. Schnell wurde eine Transportkette gebildet. So wurde die prominente Köchin von einer Redaktion zur nächsten gefahren: erst nach Mühlhausen und von dort bis nach Erfurt.
Oder Manfred Krug, der ein genialer Schauspieler, aber vielleicht nicht ganz so begnadeter Lyriker ist. Die Vorstellung seines Lyrik-Bandes stieß mit der Zeit auf immer weniger Begeisterung beim Publikum. Die Illustrationen von Moritz Götz waren noch das Beste an den Gedichten, verrät Dirk Löhr insgeheim. Und als die Unruhe schließlich immer größer wurde, meinte Manne Krug, der immer ein Diktiergerät dabei hatte und sogar Witze aufzeichnete: „Wenn ihr noch zehn Minuten still seid, lese ich euch danach ein paar Postkarten von Jurek Becker vor“. Das zog und brachte am Ende viele Lacher.
Auch an Hellmuth Karasek erinnert sich Dirk Löhr gern. Sechsmal war er in Erfurt, und immer begeisterte er die Damenwelt. Eingehüllt in die Wolken kubanischer Zigarren bezirzte der Charmeur die schönsten Buchhändlerinnen und das mitten in einer Buchhandlung. „Hm, so viele Geschichten sind mir in den letzten fünf Jahren nicht passiert“, bedauert Monika Rettig, die Programmchefin der Herbstlese, die vor fünf Jahren in die sehr großen Fußstapfen von Michael John trat.
Eine kann sie dennoch beisteuern. Wieder geht es um Hellmuth Karasek. Er war schon im Atrium der Stadtwerke und bereitete sich auf die Lesung vor, als er entsetzt feststellte, dass er seine Mütze im Zug liegengelassen hatte. Um die Lesung nicht zu gefährden, denn das Malheur bedrückte den großen Autor, Kritiker und Journalist sichtlich, schickte Monika Rettig eine junge Mitstreiterin in die Stadt, eine wollene Mütze zu besorgen. Schließlich war es sehr kalt, aber auch kurz vor Ladenschluss. „Mit Müh und Not hat die junge Dame es geschafft und sogar noch die richtige Farbe mitgebracht“, lacht sie.

Es gab aber auch Momente, in denen Dirk Löhr dachte: Das ist das Ende der Herbstlese. Damals zum Beispiel, als sie Günter Grass zwischen drei Wahlkampfterminen eingefangen hatten und er meinte. „Was? Eine Lesung in Erfurt? Das muss ein Missverständnis sein.“ Zu diesem Zeitpunkt waren 1000 Karten für den Abend mit dem großen Autor verkauft. Mit Engelsgeduld und viel Fingerspitzengefühl haben sie Günter Grass dann doch in die Thomaskirche gebracht. 100 Leute sind im Laufe des Abends wirklich gegangen, sie hatten etwas ganz anderes erwartet, nämlich das, was ein junger Mann im Laufe des Abends empört zum Ausdruck brachte: Er nahm sich das Saalmikro, hielt seine Eintrittskarte hoch und sagte: „Ich habe hier eine Karte für die Herbstlese gekauft. Aber das hier ist Wahlkampf.“ „Da habe ich das Ende nahen sehen“, erzählt Dirk Löhr. Heute kann er darüber lachen, denn den Abend hat am Ende eine ältere Dame aus dem Publikum gerettet, indem sie sagte: „Wissen Sie das nicht? Alles, was Günter Grass macht, ist politisch.“
Gewinnspiel: 1 x Gold und 5 x Silber für die Erfurter Herbstlese
Wir, die Stadtwerke Erfurt, haben dieses Jahr 25. Geburtstag. Deshalb verlosen wir in diesem Jahr nicht nur die bereits bewährte Goldcard zur Erfurter Herbstlese, sondern auch fünf Silbercards.
Mit der Goldcard kann der Gewinner mit einer Begleitperson seiner Wahl alle Lesungen der Herbstlese 2016 kostenfrei besuchen.
Die Silbercard berechtigt den Gewinner, mit einer Begleitperson seiner Wahl alle zehn Lesungen zu besuchen, die im Atrium der Stadtwerke Erfurt stattfinden.
Und so geht’s:
Das Gewinnspiel startet am 18. August. Ab diesem Zeitpunkt können Sie Ihr Glück versuchen. Einfach Ihren Lieblingsautor bzw. den Titel Ihres Lieblingsbuches per E-Mail an info@stadtwerke-erfurt.de unter Angabe Ihres Namens und Ihrer Kontaktdaten senden. Das Los entscheidet.
Einsendeschluss ist der 2. September 2016. Der Gewinner erklärt sich damit einverstanden, dass er im Fall des Gewinns mit Name, benanntem Lieblingsbuch und Gewinnerfoto in den Medien, einschließlich Facebook, veröffentlicht wird.
Fotos: Steve Bauerschmidt