Ganz in der Nähe ertönt ein Krähen. Ein anderes Krähen. Kein gewöhnlicher Hahn. Es raschelt im blühenden Buschwerk, wo summend tausende Bienen die erste Nahrung im Frühjahr sammeln. Da kommt er zum Vorschein: Ein stolzer Fasan auf Brautschau. Bald verschwindet er wieder im Pflanzendickicht. Fünfzig Meter weiter hoppeln Feldhasen einem Berg hoch. Gemächlich trottet eine Herde Schafe über eine Wiese. Rotmilane kreisen am Himmel. Steinhaufen und Totholzhaufen bieten Kriechtieren und Igeln Unterschlupf. So stellt man sich eine Naturidylle vor, aber keine Deponie. „Hier erleben wir täglich ein harmonisches Miteinander zwischen Mensch, Natur und Verwertungsanlagen“, erklärt stolz Geschäftsführer der SWE Stadtwirtschaft, Marco Schmidt. Das Unternehmen betreibt im Auftrag der Stadt die Deponie.

Schon von weitem ist der künstliche Deponieberg im Erfurter Norden zu erkennen. Von 1976 bis 1992 wurde dort Erfurter Hausmüll abgelagert. Nach über 20 Jahren hat der Berg sich wieder gesenkt und über hunderttausend Pflanzen gedeihen auf einer extra aufgetragenen Mutterbodenschicht. Der alte Hausmüll im Berg produziert immer noch Strom. Durch das Verrotten entsteht Methangas. Dieses wird abgezapft und treibt zwei Motoren an, die einen Generator Strom produzieren lassen. Viel Strom, sodass alle Anlagen im Gelände diese Energie nutzen können. Überschüssige Energie geht in das Stromnetz.

schafe
Schottische Soay Schafe auf der Deponie

Die Erfurter Deponie ist mittlerweile ein begehrtes Ausflugsziel geworden. Es kommen nicht nur Delegationen aus Nah und Fern. Auch Vereine und Wohnungsbaugesellschaften bieten ihren Mitgliedern an, die Deponie zu erwandern. Sogar die Reisesendung „mdr unterwegs“ entdeckte die Deponie als Geheimtipp. Die Fernsehredakteurin hatte einen guten Reiseführer, Thomas Maul, der Deponiegärtner und Deponieimker. Ja, richtig gelesen: Imker. Doch dazu später. Thomas Maul kennt jeden Grashalm, jeden Fasan, jedes Rebhuhn (die gibt es auch) fast persönlich. Zweimal im Jahr können auch „Normalsterbliche“ den Deponieberg ersteigern – im Frühjahr und im Herbst. Die nächste öffentliche Wanderung findet am 30. April statt. Auf der „Deponie-Safari“ kann man nicht nur Tiere, Pflanzen und Verwertungsanlagen entdecken. Es gibt auch Kulinarisches: Die Verkostung von Deponiehonig.

SONY DSC
Deponie Imker Thomas Maul

Schon seit ein paar Jahren wird die Renaturierung auf dem Gelände der Deponie Erfurt-Schwerborn tierisch Unterstützt. Schottische Schafe helfen das ganze Jahr bei den landschaftspflegerischen Maßnahmen. Neben diesen Vierbeinern gibt es noch 100.000 tierische Deponieangestellte – Bienenvölker. Warum das? „Zwei Gründe sprechen für die Ansiedlung von Bienen auf der Deponie: Sie befruchten die Blütenpflanzen, erhalten damit den Pflanzenbestand und – das ist das besondere – sie fungieren als Spürbienen oder Bio-Indikatoren.“, erklärt Thomas Maul, der aus einer „Imker-Dynastie“ kommt. Diese Idee kam dem Bienenexperten am ersten Arbeitstag als Gärtner auf der Deponie. Bei der Methode  zeigt die Entwicklung der Bienenvölker an, dass Flora, Fauna sowie der Boden sich in einem natürlichen Gleichgewicht befinden. Die Honigbienen befliegen gleichmäßig bis zu fünf Kilometer Radius um ihren Stock und tragen eventuelle Schadstoffe aus diesem Bereich ein. Diese lassen sich in Honig und Pollen nachweisen. Beim sogenannten Biomonitoring handelt es sich um einen räumlichen Ansatz zur flächendeckenden Rückstandsermittlung, während konventionelle Methoden nur stichprobenartige Datenpunkte liefern. Der Frankfurter Flughafen praktiziert das Biomonitoring schon seit Jahren erfolgreich, nun auch die Erfurter Deponie. Das hat sich sogar in den USA herumgesprochen, sodass Thomas Maul eingeladen wurde, um seine Erfahrungen weiterzugeben. Mit diesen und anderen Maßnahmen wird das Deponiegelände mehr und mehr zu einem unverzichtbaren Biotop für seltene Pflanzen und Tiere, dass sich zu erwandern lohnt.

Deponie-2
Aktuelle Schüttfläche

An eine Deponie erinnert noch eine 6 ha große graue Fläche – das sind mehr als 8 ½ Fußballfelder – auf dem 93 ha großen Betriebsgelände. Seit 1999 wird dort Abfall bzw. ab 2005 nur noch behandelter Abfall in Form von Schlacke und Rottegut abgelagert. Diese kommen von der Restabfallbehandlungsanlage, auch RABA genannt. In der RABA verrottet kontrolliert der biologische Anteil vom Hausmüll, der Rest wird verbrannt. Jährlich kommen so ca. 13.000 t Schlacke und 6.000 t Rottegut auf die Deponie. Platz ist mindesten noch bis zum Jahr 2021.

Deponie-5
Trockenfermentationsanlage für Bioabfälle

In der Buschlandschaft fast versteckt, befinden sich auch Verwertungsanlagen auf dem Deponiegelände – eine Wertstoffaufbereitung- und sortieranlage, wo Gewerbeabfälle nach Wertstoffen sortiert werden, eine Trockenfermentationsanlage, wo Bioabfälle in Strom und Kompost umgewandelt werden und eine Kompostierungsanlage für die Verwertung von Grünabfällen.

Abfallwirtschaftliche Anlagen und Natur sind kein Widerspruch. Das ist zumindest die Meinung von den tierischen Deponiebewohnern, denen es außerhalb des Deponiezauns nicht so gut gehen würde.

Fakten Deponie:

  • Inbetriebnahme 1976
  •  Betriebsfläche 92,6 ha
  •  Altkörperablagerungsfläche 26,5 ha
  •  1. Erweiterungsabschnitt 3,5 ha
  •  2. Erweiterungsabschnitt 6,0 ha
  •  Status Deponieklasse II gemäß TA-Siedlungsabfall
  • Als eine der ersten Deponien in der DDR wurde das Deponiegas zur Elektroenergiegewinnung genutzt.
  • Im Jahre 1993 wurde der erste Erweiterungsabschnitt mit einer kombinierten Basisabdichtung in Betrieb genommen. Ab 1999 erfolgt die Ablagerung auf dem zweiten Erweiterungsabschnitt.
  • Seit 1993 werden Verwertungsanlagen schrittweise ausgebaut (1993 Kompostierungsanlage und Bauabfallsortieranlage, 1995 Bodenbörse, 1996 Bauabfallrecyclinganlage, 1997 Altfensteraufbereitung, 2000 Altholzaufbereitung, 2009 Bioabfallvergärungsanlage, 2011 Wertstoffaufbereitung- und sortieranlage.
  • Auf der Deponie Erfurt-Schwerborn wurde 50% der Gesamtfläche durch verschiedene landschaftspflegerische Maßnahmen renaturiert.