Der Holzschnitzer mit dem Doppelleben

in
JOURNAL Herbst/Winter 2025

Robert Leuschner ist Dozent an der Fachhochschule Erfurt und Holzkünstler mit eigenem Geschäft auf der Krämerbrücke

Eine kleine Rockband in Schwarz, eine Gratulantenschar, ein Brautpaar mit Kirche, Eierköppe – allesamt kleine rundlich-putzige Figuren, stehen im Regal links im Geschäft von Holzbildhauerin Gabriele Leuschner (80) auf der Krämerbrücke. In der Höhenluft zwei Etagen darüber wird es figürlich strenger. Mehrere etwa 40 Zentimeter große Holzskulpturen atmen Stolz und Selbstbewusstsein. In einem Eckregal stehen in Erwartung des Jahresendrausches zwei Weihnachtspyramiden, die sich so gar nicht in das übliche Erscheinungsmuster einpassen lassen. Vielmehr fühlt man sich unwillkürlich an Nimmerklugs Knirpsenland, das von Nikolai Nossow verfasste Kinderkultbuch früherer Zeiten, erinnert. Wer in die Krämerbrücke 22 eintritt, verlässt diese Welt mit all ihrer Mühsal, schaltet die Fantasie ein. Und staunt. Die Tür fliegt auf. Robert Leuschner hetzt herein. Der 48-jährige Sohn der dienstältesten Brückenbewohnerin führt ein Doppelleben, fährt zweigleisig. Zum einen ist er Dozent in der Erfurter Fachhochschule (FH) für Architektur und Stadtplanung, betreut 30 Studierende in den Fächern Darstellen, Gestalten und Entwerfen. Mit den Seminargruppen war er gerade auf Studienreise in Marokko. Schwerpunkt der Tour ins Königreich im Nordwesten Afrikas: Aquarellieren. Eine Technik der Malerei, bei der nicht deckende, wasserlösliche Farben verwendet werden, um transparente, fließende Bilder zu schaffen. Leuschner schwärmt von dem ganz besonderen Licht dort und dessen Reflexionen auf den Häusern der engen Gassen und Märkte Marrakeschs. Robert Leuschner ist eine echte Puffbohne. Trotzdem hat er sich auch mal 14 Jahre Auszeit in Wien genommen, wo er nach dem Studium als Architekt arbeitete. Eines ist klar – Erfurt mag er nicht missen. Schon gar nicht seine vertraute Krämerbrücke, wo er auch wohnt. Und die Brückenfamilie, die ihm ein Gefühl von Wärme, Geborgenheit und Heimat gibt. „Hier lockt mich nichts mehr weg, höchstens Wien oder die Liebe“, sagt er mit schelmischem Grinsen.

Den gelernten Tischler reizte schon immer das Gestalterische. Das freie Denken als Architekt hat er wohl vom Urgroßvater und Großvater irgendwie genetisch übernommen. Beide waren auch Architekten. „Wusste ich lange Zeit gar nicht“, sagt Leuschner. War aber auch egal. Er wollte bauen, der Erfurter, der sich noch mit dem allseits respektierten Titel Diplom-Ingenieur schmücken kann. Aquarelle, Landschaften, Menschen – ein Themenkreis, der ihn bis heute fasziniert. Und deswegen auch Marokko, Italien oder Frankreich. Und deswegen auch 14 Jahre Wien. „Tolle Baukultur dort“, lobt er. Was man in Deutschland nicht immer sagen könne. Später kam noch eine Zwischenstation in Dresden als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni dazu. 2003 wurde Tochter Hanna in Erfurt geboren, 2015 Sohn Erik in Wien. Und 2020 ebenfalls in Wien Tochter Elina. Dennoch zog es ihn wieder nach Thüringen zurück. Klares Ziel: das Geschäft auf der Krämerbrücke, das Mutter Gabriele bald nicht mehr allein stemmen konnte. Die Alternative: Aufgabe des Ladens. Das wollten Mutter und Sohn keinesfalls. Fünf Jahre habe er mit einem inneren Ringen gelebt, gibt er zu. Dann war man sich einig: Robert richtet es. Auch wenn er dann zweigleisig als Architekt und Künstler fahren müsse. 

Die Aussicht auf eigenverantwortliche, selbstständige Arbeit war das Ausschlaggebende. Was treibt ihn als Künstler mit dem Naturmaterial Holz an? Die Wärme und die Haptik, versichert er. Und diese Eigenschaften würden auch in die Arbeit mit den FH-Studenten einfließen. Weil, Holz boomt im Bau. Nun also Dozent und Holzwurm-Künstler in einem. Spezialität Häuser, die er unter den eigenen Händen entstehen lässt. Die aber nur einen Teil des Sortiments im Geschäft ausmachen. Leuschner kauft Holzkunst anderer Künstler zu. Ausgewählte Holzkunst. „Ich wähle bewusst aus, kaufe nichts ein, was mir missfällt“, versichert er. Tradition und Moderne treffen sich in dem nur 4,40 Meter breiten Geschäft. Ausschließlich Dinge mit gestalterischem Anspruch. Robert Leuschner: „Sonst wird es Kitsch“. Er scheint das richtige Händchen zu haben. Das Geschäft läuft. Ständig läutet die Ladenglocke. Mit sechs Jahren ist Robert Leuschner auf die Brücke gezogen. 20 Jahre hat er hier gelebt, 20 Jahre war er in der Fremde unterwegs. Der Draht zu Erfurts Wahrzeichen ist nie abgerissen. Und es wird wohl auch noch 20 Jahre – mindestens – seine Heimat sein. Wenn nicht Wien oder die Lieb … Aber das wäre dann wieder eine ganz andere Geschichte. So kann er als holzliebender Papa zusehen, wie Sohn Erik (10) die Leuschnersche Tradition fortführt. „Wenn er da ist, schmeißt er den Laden alleine und ich bin nur noch Statist“, sagt er lachend. Was sagt das aber auch aus? Es scheint tatsächlich irgendwie in den Leuschnerschen Genen zu liegen – das mit der Architektur und das mit dem Holz.

Tags :

Weiteres zum Thema: