Matthias Thüsing (Text) Lutz Edelhoff (Fotos)
Einblicke in die Gewandmeisterei am Theater Erfurt
Schon auf dem Flur begrüßen Textilien in allen möglichen Variationen den Gast der Theaterschneiderei. Abendkleider hängen neben Anzügen, Damenröcke neben Herrenwesten. „Das sind die Kostüme der DomStufen-Festspiele. Die gehen jetzt in den Fundus“, sagt Susanne Ahrens. Die Herrengewandmeisterin schiebt einen der rollbaren Kleiderständer zur Seite. Dahinter hängt gerahmt die Weste eines Harlekins an der Wand. Er besteht aus vielen aneinandergereihten Karos aus buntem Stoff. Das Stück zeige, wie aufwendig manches Kostüm hier im Haus gearbeitet werde, sagt Ahrens. Theaterschneiderei ist weit mehr als nur Größen ändern oder gerissene Nähte flicken.
Die Arbeit an einem neuen Stück beginnt immer mit einer ausgiebigen Besprechung mit dem Kostümbildner beziehungsweise der Kostümbildnerin des jeweiligen Stückes. Hier wird dem Gewandmeisterteam anhand von vorbereiteten Zeichnungen oder Figurinen schon recht konkret mitgeteilt, welche Kostüme, Farben, Schnitte und Stoffe sich das Regieteam für das Stück wünscht. Anschließend geht es an die Umsetzung. Ihre Abteilung umfasst 24 Frauen und Männer, vor allem Schneider, aber auch beispielsweise je einen Hut- und einen Schuhmacher. Viele Kostüme kommen aus dem theatereigenen Fundus und werden bei der Kostümanprobe am Künstler angepasst bzw. abgeändert. Für besondere Rollen werden Kostüme auch ganz neu angefertigt.
Ahrens zeigt auf ein Blatt Papier, mit der Figur der Wutz für die anstehende Produktion „Urmel aus dem Eis“, die in diesem Spätherbst auf die Bühne kommen soll. Das Schwein trägt Kostüm aus blau kariertem und rosa Stoff. „Wenn ich diesen Stoff in der gewünschten Farbkombination nicht bekomme, müssen wir das Karo-Muster selbst auf das Hemd nähen“, sagt sie. Rosa gehöre nun einmal zu einem Schwein. Noch aber ist Zeit für die Suche im Internet oder bei Versandhändlern. Denn aktuell beschäftigt sich das Team intensiv mit der Inszenierung von „María de Buenos Aires“.
Vor Susanne Ahrens auf dem Tisch liegt eine noch nicht fertig zugeschnittene braune Weste. Es sind nur noch drei Wochen bis zur Premiere. Das Stück erzählt die Geschichte von María, einer Frau aus den Vororten von Buenos Aires, die vom Tango verführt wird und in die Schattenseiten der Stadt abgleitet. Nach ihrem Tod wandert ihr Geist durch die Straßen, begleitet von mystischen Figuren und Symbolen, die zwischen Realität und Traumwelt changieren. Das Stück spielt in einer Unter- und einer Tageswelt. Und diese Gegensätzlichkeit muss sich auch in den Kostümen widerspiegeln.
Seit 2001 hält die gelernte Gewandmeisterin im Theater Erfurt die Fäden in der Hand. Ihre Ausbildung durchlief sie an der renommierten Gewandmeisterschule in Hamburg. Es folgten Stellen als Gewandmeisterin am Stadttheater Bremerhaven und anschließend am Schleswig-Holsteinischen Landestheater in Flensburg. Die hohe Kunst der Theaterschneiderei liegt nicht darin, tragbare Kleidung für den Alltag, sondern für die Bühne herzustellen. „Manchmal müssen wir größere Taschen in die Jacken nähen, wenn der Darsteller auf der Bühne Vieles und Großes in die Taschen stecken muss. Manchmal müssen wir beispielsweise Hosen sehr weit schneidern, wenn er sie bei einem Rollenwechsel schnell über andere Kleidung ziehen muss“, sagt die Gewandmeisterin. Und bisweilen muss die Kostümgestalterin die Kleidung sogar künstlich verschmutzen oder altern lassen. Ein Soldat nach der Schlacht in blitzsauberer und nagelneuer Uniform wirkt unglaubwürdig.
In einem anderen Fall habe der TÜV für die DomStufen-Festspiele sogar die Rutschfestigkeit der Schuhe auf einer schiefen Bühne bestätigen müssen. Und zwar für jeden einzelnen Darsteller mit seinem individuellen Gewicht. Die Maße der Darsteller am Theater Erfurt hat sie übrigens in einer Datenbank parat. So könne sie für die Stammbesetzung die Kostüme für die Anprobe bereits vorab auf Maß zuschneiden. Gewichtszu- oder -abnahmen stellt sie meist beiläufig im Theateralltag fest. Hier nimmt sie schon mal heimlich Maß im Gespräch mit den Künstlern. Das sei beruflich bedingt, sagt sie: „Ich habe halt einen ganz besonderen Blick auf die Menschen.“

