„Warum holen wir unsere Haustiere eigentlich immer von einem Züchter und nicht aus dem Tierheim?“, fragten sich die Schülerinnen Jördis, Emily, Charlotte und Jolina. Schnell stellen sie fest: Der Grund sind Vorurteile gegenüber Tierheimen und deren Bewohnern. Den Schülerinnen des Arnstädter „MELISSANTES“ Gymnasiums war klar – sie haben ihr Thema für die anstehende Seminarfacharbeit gefunden. Unter der Überschrift „Endstation Tierheim? ‚Eingesperrt und Traumatisiert‘“ wollen sie Vorurteilen und deren Ursachen nachgehen. Unterstützung für ihre Idee fanden sie beim Tierheim Erfurt. „Wir sind so froh über die Hilfe und die fachlichen Tipps. Zusammen mit den SWE Tierheimen wollen wir Schubladendenken vorbeugen und über manche Klischees aufräumen.“

Charlotte Wulf (17), Jördis Langer (17), Emily Franke (17) und Jolina Rohloff (17) gehen Vorurteilen über Tierheime und ihren Bewohnern auf die Spur.

„Wir haben alle Haustiere zu Hause, jedoch nie darüber nachgedacht, ein Tier aus dem Tierheim zu holen“, erzählt Emily Franke. Alle Familien der Mädchen haben einen Hund. Emily hat außerdem noch eine Katze und Charlotte kümmert sich zusätzlich um ihre zwei Hasen. „Auf der Suche nach unserem Thema ist uns das erste Mal aufgefallen, dass alle unsere Haustiere beim Züchter gekauft wurden und wir haben uns gefragt: Warum ist das eigentlich so?“, berichtet die 17-Jährige Emily. „Wir haben angefangen, uns über das Thema zu unterhalten und dabei festgestellt, dass wir selbst Vorurteile gegenüber Tierheimen haben. Wir wollten überprüfen, ob sie auch wirklich stimmen“, ergänzt Jolina Rohloff. „Wir dachten, die Tiere hätten im Tierheim wenig Platz und kaum Auslauf. Außerdem nahmen wir an, dass dort viele alte Tiere leben und gerade bei den Hunden hatten wir vorher etwas Bedenken, dass sie aggressiv reagieren könnten.“

„Wir haben uns gefragt, ob es anderen auch so geht wie uns“, erklären sie. In mehreren Straßenumfragen interviewten sie Passanten aus Erfurt und Arnstadt. Ziel der Umfrage war es, 200 Leute zu befragen.  „Wir wollten wissen, ob die Leute Haustiere haben und woher sie stammen: aus dem Tierheim oder vom Züchter“, erklärt Charlotte Wulf das Vorgehen ihrer Gruppe. „Wenn die Tiere nicht aus dem Tierheim waren, fragten wir nach dem Grund. Eine mögliche Antwort war, Vorurteile gegenüber Tierheimen zu haben.“ Die Gymnasiastinnen bereiteten dafür eine Liste mit Stereotypen vor, die angekreuzt werden konnten. Dabei ging es zum Beispiel über Vorurteile zu  schlechten Haltungsbedingungen oder die Annahme, dass Informationen über die Herkunft und das Alter der Tiere fehlen könnten. Abgefragt wurde auch, ob die Menschen denken, dass Tiere aus dem Tierheim verhaltensauffällig, krank oder alt sind. „Außerdem wollten wir wissen, woher die Vorurteile kommen, beispielsweise durch Medien, Hörensagen oder durch fehlende Informationen“, ergänzt Charlotte.

„Wir haben viele liebe Hunde, aber auch manche mit Verhaltensauffälligkeiten“

– Judith Lotthammer

Auch den Mitarbeitern des Tierheims sind solche Vorurteile nicht fremd. Judith Lotthammer ist schon viele Jahre Tierpflegerin im Hundetierheim und kennt die verschiedenen Einstellungen der Leute. „Viele kommen zu uns und denken, im Tierheim wären nur liebe Tiere, die dankbar hier sitzen und darauf warten, abgeholt zu werden. Wieder andere erwarten nur verhaltensgestörte Hunde. Tatsächlich hält es sich in Waage, wir haben viele liebe Hunde, aber auch manche mit Verhaltensauffälligkeiten“, erklärt sie. Doch spätestens nach einem ersten Kennenlernen sind diese Bedenken verflogen und die Freude über das neue Familienmitglied groß. Oft hat das Tierheim selbst nach der Vermittlung noch Kontakt mit den neuen Besitzern. „Wir kriegen Fotos oder Statements, wie es im neuen Zuhause läuft. Die Leute erzählen uns, wie sich der Hund eingelebt hat oder wo es noch Schwierigkeiten gibt“, sagt Lotthammer.

Eine Umfrage allein macht aber noch keine Seminararbeit – schließlich müssen insgesamt 40 Seiten von der Gruppe gefüllt werden. Besonders die Suche nach geeigneter Fachliteratur gestaltete sich zu Beginn schwierig. An dieser Stelle war die Unterstützung des Tierheims gefragt. „Besonders die Gespräche mit dem Tierheimleiter Dr. Matthias Harnisch, und unserer Fachbetreuerin Kerstin Räditz haben uns sehr geholfen“, sagt Jolina. „Mit ihren Praxistipps und Erfahrungsberichten konnten sie viele von unseren Fragen beantworten.“ Nur warum haben die Arnstädterinnen ausgerechnet das Erfurter Tierheim als Partner ihrer Arbeit gewählt? „Wir haben lange nach einem passenden Tierheim gesucht, das uns unterstützt“, erklärt Charlotte. „In Erfurt hatten wir endlich Erfolg.“

Jolina und Spooky beschnuppern sich.

Ihre Mühe zahlte sich aus. Auch wenn ihre Arbeit noch nicht abgeschlossen ist, konnten die jungen Frauen bereits Ergebnisse erzielen. „Uns ist aufgefallen, dass besonders Leute in unserem Alter angaben, Vorurteile zu haben. Ältere Menschen hatten jedoch schon häufiger Tiere aus dem Tierheim. Vielleicht liegt es ja an ihrer größeren Lebenserfahrung“, erzählt Charlotte. Außerdem sind den Schülerinnen in ihrer Stichprobe Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Wohnregionen aufgefallen: Besonders die Befragten aus kleineren Städten und Dörfern zeigten sich häufig voreingenommen gegenüber Tierheimen und deren Bewohnern. Aber stimmen diese Vorbehalte?  „Mit einigen Vorurteilen können wir aufräumen, andere lassen sich aber bestätigen“, fasst Jördis die Ergebnisse ihrer Umfrage zusammen.  „Sicher gibt es Hunde, die mit ihren Vorbesitzern schlechte Erfahrungen gemacht haben und deswegen Verhaltensauffälligkeiten zeigen“, sagt die 17-Jährige, „aber so ist es ja nicht bei allen Hunden.“ „Außerdem sind die Haltungsbedingungen im Tierheim viel besser als wir dachten“, hält Emily fest und Jolina ergänzt: „Man beschäftigt sich viel mit den Tieren. Im Hundetierheim ist uns aufgefallen, dass die Tiere viel Auslauf bekommen und sogar Parcours machen können.“

Aus ihren Erfahrungen wollen die Gymnasiastinnen nicht nur eine gute Note für ihre Seminarfacharbeit mitnehmen, sondern auch die Erkenntnis, Tierheimbewohnern eine Chance geben zu wollen. Bei ihrem Besuch im Hundetierheim haben die Mädchen erfahren, dass besonders das laute Bellen der Hunde bei einem ersten Kennenlernen die potenziellen neuen Besitzer erschrecken kann. „Man sollte ihnen trotzdem eine Chance geben.  Wenn man als Fremder ins Tierheim kommt, sind die Tiere gestresst und reagieren anders als im Normalfall“, meint Emily.
Für die Mädchen steht fest: Bevor sie das nächste Mal eine neue Fellnase kaufen, möchten sie dem Tierheim einen Besuch abstatten. Vielleicht wartet ihr neues Familienmitglied ja bereits auf sie.

Fotos & Text: Emely Lea Stehr