Fotografie ist weit mehr als eine visuelle Abbildung von Objekten. Sie ist Kommunikation, sie vermittelt Botschaften – von trivial bis hoch philosophisch. Gerade im Zeitalter von Instagram und Co. ist Kommunikation sehr visuell geworden. In diesem Beitrag geht es um eine bildliche Annäherung an ein bedeutendes Erfurter Kulturobjekt: das mittelalterliche jüdische Erbe.
Eine große jüdische Gemeinde wohnte im Mittelalter in Erfurt – Seite an Seite mit ihren christlichen Nachbarn, bis sie durch ein Pogrom im Jahre 1349 brutal ausgelöscht wurde. Übrig blieben ihre repräsentative Synagoge und eine Mikwe, ein jüdisches Ritualbad. Die beiden Kulturdenkmäler wurden wiederentdeckt und sind durch die Möglichkeit von Besichtigungen unmittelbar erfahrbar geworden. Der älteste bis zum Dach erhaltene Synagogenbau in Nordeuropa ist seit 10 Jahren ein sehr gut besuchtes Museum. In ihren Räumen beherbergt die Synagoge unter anderem einen mittelalterlichen Schatzfund, darunter ein jüdischer Hochzeitsring. Verborgen wurde er unter dramatischen Umständen während des Pogroms 1349. Es gibt bereits zahlreiche Publikationen über die Alte Synagoge bzw. über das jüdische Erbe – von hoch akademisch bis populärwissenschaftlich. Doch eines fehlte: Ein Bildband mit künstlerischem Anspruch. Deshalb beauftragte die Erfurter Kulturdirektion Anfang 2019 zwei sehr unterschiedliche Fotografen, den Eisenacher Ulrich Kneise und den Erfurter Marcel Krummrich, sich fotografisch der Alten Synagoge anzunähern. Beauftragt, getan. Pünktlich zur 10-jährigen Jubiläumsveranstaltung am 26. und 27. Oktober war der Bildband fertig. Eine Auswahl der Fotos aus dem Bildband ziert jetzt als Sonderausstellung die Synagoge.

Nach der Ausstellungseröffnung sprach ich mit ich dem Fotografen Marcel Krummrich über seine Herangehensweise. Der Absolvent der Ostkreuzschule für Fotografie hatte schon lange ein Faible für jüdische Geschichte, da kam der Auftrag sehr gelegen, zumal es hier mehr Freiheiten gab, als bei den üblichen Aufträgen. Sein Ansatz war: Was interessiert mich an der Alten Synagoge? Denn, was mich interessiert, könnte auch andere interessieren. Es war eine Gratwanderung zwischen Kunst und Gefallen. Dies scheint gelungen zu sein, wenn man die Reaktionen von Besuchern auf die Bilder richtig deutet. Seine fotografische Interpretation des jüdischen Erbes umfasste nicht nur Dinge, die im Museum zu sehen sind. Er besuchte Orte, an denen Zeugnisse des jüdischen Erbes aufbewahrt werden. So fuhr er zur Sammlung der Staatsbibliothek zu Berlin, um die originale Erfurter Tora-Rolle zu fotografieren, besuchte das Stadtarchiv, um den mittelalterlichen Judeneid und Schuldscheine aus dem Mittelalter abzulichten. Neben der Synagoge Arbeitsorte, an denen sich Menschen mit dem jüdischen Erbe beschäftigen. Krummrich sieht seine Fotografien auch als Hommage an die Restauratoren, Denkmalpfleger, Wissenschaftler, die das Erfurter jüdische Erbe aufarbeiten.
In der Synagoge selbst war natürlich der Schatz ein Fotomotiv. Dieser wurde nicht einfach dokumentarisch fotografiert, er wurde inszeniert, wie alle Fotos vom Krummrich. So wird beispielsweise der Hochzeitsring gerade auf einen Finger gesteckt, die Kamera ganz nah dran.


Im Schatz dargestellte Fabelwesen inszenierte Krummrich mit ausgestopften Tieren nach. Teile des Schatzes wurden im Stil alter flämischer Meister als Stillleben inszeniert und ausgeleuchtet. Für das Stillleben recherchierte der Fotograf Krummrich nach alten Bräuchen, damit er Symbole der Hochzeit, wie Brot, Salz, Gefäße auch richtig in Szene setzen kann. Dafür brauchte er auch mal drei Stunden.


Nach dem Pogrom 1349 wurde die Synagoge in ein Lagerhaus verwandelt und im 19.Jahrhundert als Tanzsaal genutzt. Auch diese Nutzung inszenierte Marcel Krummrich fotografisch, indem er ein Tanzpaar vor Ort im Saal fotografierte. Um die Bewegung zu verdeutlichen, belichtete Krummrich das tanzende Paar mehrfach. Für die Ausstellung wurden die Tanzszenen auf Stoffbahnen leicht überlebensgroß gedruckt und in den Tanzsaal gehängt. Die Wirkung ist beindruckend. Mit dem Fotobuch ist für Marcel Krummrich die fotografische Auseinandersetzung mit jüdischen Leben noch nicht beendet. Er hat schon Ideen, wie er das zu oft verborgene jüdische Leben in Deutschland an das „künstliche“ Fotolicht bringen kann – Ideen für Erfurt, aber auch für andere Orte des jüdischen Lebens.
Wem die Fotos in der Synagoge nicht genug sind, im Bildband sind noch mehr Fotos beider Fotografen zusehen. Zusätzlich sind Texte zweier Journalisten, Elena Rauch und Henryk Goldberg zu lesen, die sich via Buchstaben dem jüdischen Erbe annähern.
Für Technikbegeisterte: Fotografiert hat Marcel Krummrich mit einer Mittelformatkamera von Fujifilm, der GFX 50.
Das Land Thüringen bewirbt sich mit dem jüdischen Erbe für den UNESCO Weltkulturerbetitel. Der Stadtwerke-Geschäftsführer Peter Zaiß ist Pate für die Bewerbung.
Vom 27. Oktober 2019 bis 3. Mai 2020 ist die Sonderausstellung „Alte Synagoge Erfurt. Perspektiven“ in der Alten Synagoge zu sehen.
Alte Synagoge, Waagegasse 8, 99084 Erfurt
https://juedisches-leben.erfurt.de/jl/de/service/aktuelles/ausstellungen/2019/133289.html
Danke für diesen interessanten Beitrag und die wunderschönen Fotos.