Der 3. Juli 1989 war für Katrin Linke ein schmerzlicher Tag. Es war ein Montag. Freunde und Familie verabschiedeten sich von ihrem Bruder, der am nächsten Tag mit Ausreiseantrag und hochoffiziell die DDR verlassen würde, in der Gewissheit, die eigene Familie nie wiederzusehen. Die Mutter weinte, Katrin auch. Sie war damals 22. Was ihre Mutter nicht wusste: Auch für Katrin sollte es der letzte Abend mit ihrer Familie sein. Katrin würde am gleichen Tag wie ihr Bruder die DDR verlassen, allerdings illegal. Über die ehemalige Sowjetunion wollte sie gemeinsam mit ihrem Freund Karsten Brensing in die Freiheit fliehen.

Dass eine Odyssee vor ihr lag, ahnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. In der Sowjetunion scheiterten sie, auch in Ungarn. An der Grenze nach Österreich liefen sie für ihre Freiheit, wurden vom Militär aufgegriffen und nach einer Nacht im Gefängnis wieder laufen gelassen. Am Ende trennten sich ihre Wege. Erst im Auffanglager Gießen trafen sich die beiden wieder – was für ein Zufall.
Katrin hatte Glück. Sie floh mit zwei Stuttgarter Mädels, die sie unter der Rückbank ihres kleinen Polos versteckten. Karsten versuchte sein Glück an der Donau. Eine Nacht lang schwamm er 25 Kilometer durch den Fluss, wäre fast in eine Schiffsschraube geraten… Tagelang dachte Katrin, Karsten wäre verunglückt, nicht mehr am Leben. An die Verzweiflung dieser ersten Tage im goldenen Westen kann sie sich noch gut erinnern. Und auch, dass sie beinahe aufgegeben und zurückgegangen wäre – mit allen Repressalien.
Wenn sie geahnt hätte, welche Irrfahrt vor ihr lag, vielleicht hätte sie dann die Flinte ins Korn geworfen. Vielleicht aber auch nicht. Immerhin hatten sich die beiden ein Jahr lang intensiv auf ihre Flucht vorbereitet. Im Erfurter Espach-Bad lernten sie sich einst kennen. Sie hielt sich mit Aushilfsjobs über Wasser, nachdem ihr ein Medizinstudium verwehrt worden war, und arbeitete als Rettungsschwimmerin. Karsten war Schwimmmeister. Heimlich übten sie in der Schwimmhalle am Johannesplatz, wenn alle längst nach Hause gegangen waren, schwammen in Seen, liefen lange Strecken. Ein eisernes Training.
Das gemeinsame Ziel schweißte sie zusammen. Auch die Jahre nach der Wende verbrachten sie gemeinsam. Beide studierten Biologie, gingen nach Florida und erforschten das Für und Wider der Delfintherapie. Während Karsten der Verhaltensforschung treu blieb, viele Bücher veröffentlichte, sattelte Katrin um, studierte Wissenschaftsjournalismus und arbeitete für den Hessischen Rundfunk.
In vielen Städten haben die beiden gelebt, am Ende zog es sie wieder nach Erfurt. 2008 schlugen sie hier ihre Zelte auf, inzwischen haben sie zwei Söhne. Die Jungs gehen in den Kindergarten am alten Espachbad. Oft sitzen Katrin und Karsten im Espach-Café, denken zurück. „Wir haben viele Menschen kennengelernt, die uns geholfen haben. Was wohl aus ihnen geworden ist?“, sagt Katrin Linke versonnen und zählt auf: eine Hamburger Seglercrew, einen Arzt am Balaton, zwei Mädels, die sich in zwei junge Westdeutsche verliebt hatten und genau wie sie über die ungarische Grenze fliehen wollten. Zwei Dresdner mit dem gleichen Ziel, denen sie auf dem Weg zum Pamir begegneten. Nicht zu vergessen die jungen Frauen aus Stuttgart, die Katrin mitnahmen…
„Ich würde sie so gern wiedersehen“, denkt sie. Ende 2017 setzt sie sich kurzentschlossen hin und schreibt und schreibt. Viele Seiten füllt sie mit ihren Erinnerungen, mit schmerzlichen, aber auch schönen Momenten. Drei Verlage sind interessiert. Am Ende ist es der Lübbe-Verlag, der ihr Buch unter dem Titel „Eine Liebe ohne Grenzen“ verlegt. Ende Februar 2019 ist es erschienen. Doch das ist nicht alles. Katrin plant ein Picknick ohne Grenzen. Sie geht auf die Deutsche Gesellschaft e. V. zu, die sich der jüngeren deutschen Geschichte verschrieben hat und beginnt zu suchen. „Im Juli werden es 30 Jahre, dass wir geflohen sind. Wann, wenn nicht jetzt, sollten wir diese Geschichte erzählen. Sicher ging es vielen anderen nicht viel anders“, sagt Katrin Linke und hofft auf Unterstützung.
Hier gibt es mehr zum Projekt Picknick ohne Grenzen. Auch über Facebook sucht Katrin Linke.
Ein kurzes Video dazu gibt es auf Youtube. Auch der Hessische Rundfunk hat im im Rahmen der Sendung Hauptsache Kultur berichtet. Dafür wurde auch in der Roland Matthes Schwimmhalle in Erfurt gedreht. Auch in der Hessenschau und beim RBB gab es Beiträge über Katrin und Karsten.
Wer helfen möchte, kann sich gern per E-Mail unter: picknickohnegrenzen@gmail.com melden.

Warum eigentlich dieser ganze Hype um diese EINE O-W-O – Migration? Gab es Tausende, Millionen Geschichten von! Logik dieser Aktion 1989 erschließt sich nur bedingt:
– gewagte naive Tour über die SU, dann wieder nicht, dann Österreich etc. Schlaffe 3 Monate später war die Grenze offen für ALLE und JEDER konnte fröhlich in den Westen spazieren. Das ganze damalige Manöver war also die Sinnlosigkei Nr.1!
– Und wo ist dieses Heldenpärchen jetzt gelandet, finally? Ach, in Erfurt! Genau da also wo sie mit großem Tamtam damals aufgebrochen sind. Haben sich quasi per Saldo NULL bewegt! Sinnlosigkeit Nr. 2
Nee, Freunde da gibt es authentische Geschichten und Menschen, die nach der Wende wirklich ihre Träume umgesetzt haben. Und auf all‘ die anderen, denen das Glück die letzten 30 Jahre nicht so hold war, sollte man auch nicht herabblicken. Gerade in Thüringen nicht!
Aber nichts für ungut. Freies Land! Jeder kann mittlerweile seine (Lebens)Geschichten veralbern, wenn sie geneigte Leser finden. Aus oben Gesagtem gehöre ich definitiv nicht dazu!
Ja, es gibt viele, viele ähnlicher Geschichten und Erlebnisse von Menschen, die es in der ehemaligen DDR nicht mehr ausgehalten haben. Der Umstand, dass nur 3-4 Monate später der Zaun aufgehen würde, wer hat dies vorausgesehen?! Noch Anfang November 1989 sah es nicht danach aus, das es jemals gelingen würde, diesen Zaun und Mauer zu beseitigen.
Die Streitkräfte waren verhalten, aber die Stasi war es nicht. Die Stasi lenkte noch lange nach Grenzöffnung bis hin in den Einigungsvertag hinein. Die Stasi Leuten trugen Waffen, bei jeder Demo an jeden Ort.
Was wäre gewesen, wenn da einer abgedrückt hätte??? Ich sah derartige Bilder im Oktober und November 1989 geistig vor mir.
Ich persönliche denke, dass sich die beiden einfach nur freuen, dass ihre Flucht doch noch geklappt hat. Planen konnte man so viel man wollte. Das Thema der eigenen Flucht war immer mit dem Gedanken an Bautzen, Tod, sowie ewiger Trennung verbunden.
Meine selbst gewählte Flucht am 18.06.1988 über die innerdeutsche Grenze, 3 Kilometer von meinen damaligen Wohnort entfernt hat mich gelehrt zu respektieren, dass noch so jede „kleine“ Geschichte und Lebensereignisse um das Thema würdig sind wach gehalten und erzählt zu werden und das gerade in diesen Zeiten.
Und ja, mit sehr großen Bedauern habe auch ich nur in meine Heimat nach Thüringen blicken können und gesehen wie es meinen Landsleuten erging. Einigungsvertrag, Treuhand und Co haben sehr viele meiner Landsleute zugesetzt und machtlos musste auch ich zusehen, wie ganze Familien und Existenzen über Nacht zerstört worden sind.
Lange 31 Jahre aus der Ferne bis ich selbst den Entschluss gefasst habe, wieder Thüringer zu werden und lebe seit 2019 wieder in dem Ort in dem ich aufgewachsen bin.
Diesen Kommentar schreibe ich freiwillig, weil ich Anteil nehme und selbst erzählen möchte auch um wachzuhalten, was einst geschah.
Der Kommentar über meinen vom 10. November 2019. Warum schreiben Sie nicht was Sie selbst erlebt und bewegt um das Thema, dass es eben nicht nur Gewinner gab?
Herabblicken wird von uns ehemaligen Republikflüchtigen wohl niemand. Stolz bin ich und das bringe ich auch überall so an, was die Menschen in den neuen Bundesländern geschafft haben. Stolz bin ich, dass ich wieder in Thüringen leben kann und Stolz bin ich, dass ich sagen, schreiben und denken kann was, wann und wo ich will.
Anbei ein kleiner Einblick in meine Fluchtgeschichte.
https://www.mdr.de/tv/programm/sendung900436_ipgctx-false_zc-b528bc81.html
Herzliche Grüße Jörg
PS. HR Fernsehen vom 07.11.2019
Sobald das Thema Covid hinter uns liegt wünsche ich mir, dass es mit einen großen Picknick klappen wird..
ich wünsche ihnen alles gute und gesundheit und hoffe für sie es möge gelingen