Zweite Chance für gebrauchte Möbel
„Der Schrank muss weg“, das war klar, bevor das Renovieren des Schlafzimmers im Detail organisatorisch durchdacht war oder überhaupt begonnen hatte. Der Schrank: ein zweitüriges Kiefernholzmodell mit zwei Schubfächern, zwei Einlegeböden und einem großformatigen Hängeteil im Inneren. Solides dänisches Design, nur eben langweilig.
Ursprünglich stand das 2 m hohe Möbelstück in einem der Kinderzimmer und tat zehn Jahre unauffällig seinen Dienst. Mit dem Kind wuchsen auch die Ansprüche und die Kleiderberge. Der ca. 1 m breite Holzschrank wich einem doppelt so breiten Schiebetürenschrank – weiß, modern, geräumig und viel erwachsener. Der passte besser in den vom Kinder- zum Jugendzimmer gewandelten Raum. Der ehemalige Kinderkleiderschrank war zum Wegwerfen zu schade, völlig intakt und stand fortan im Schlafzimmer. Stoffe und Nähzubehör fanden darin geordnet einen Platz. Bis zu dem Tag, an dem die Renovierung des Schlafzimmers von „Wir müssten mal!“ zu „Am Freitag fangen wir an!“ konkrete Formen annahm. Doch das kam erst später.
Die Farbgestaltung des Zimmers wollte wohl durchdacht sein. Tapete oder Wandanstrich, welche Farbe? Mal sollte es helles Graublau sein, dann doch ein intensives Petrol oder vielleicht neutrales Grau? Und die gerade so modernen Pudertöne: Vanille, Hellgelb, Babyblau – wie gemacht für einen harmonischen Ort der Ruhe. Nichts überzeugte sofort und so blieb das Zimmer wie es war und der letzte nicht renovierte Raum im Haus. Auch der Schrank bekam Aufenthaltsverlängerung.
Schrank oder nicht Schrank – das ist hier die Frage
Die Entscheidung zur Farbe und zum Schicksal des Schrankes beschleunigte dann ein dunkelbraunes, wundervoll bequemes Boxspringbett, das seit einem Jahr im Gästezimmer ungenutzt und aufgestapelt mahnte: Entscheidet euch für eine Schlafzimmerfarbe. Auf in den Baumarkt und nach dreimaligem Umrunden des Regales und langem Begutachten der unendlichen Farbvarianten war klar: Wir entschieden uns für Jade, einen matten, angenehmen Grünton. Das Schicksal des Schrankes schien besiegelt, denn zur Farbe passte nach meinem Geschmack eigentlich nur Weiß oder Creme, kein Kiefernholz.
Beim Surfen im Internet stieß ich auf einen Lifestyleblog. Dort berichtete die Schreiberin über ihre Erfahrungen mit einer Kreidefarbe. Inspiriert durch die Bilder der DIY(Do it yourself)–Aktion suchte ich nach einem geeigneten Objekt für einen Test: Meine Wahl fiel auf den Schrank. Früher hatte ich öfter Möbel aufgearbeitet: eine alte Singer-Nähmaschine oder einen Tisch mit geschwungenen Beinen aus dem Garten der Nachbarn. Später dann einen Schubladenschrank aus Kiefernholz, der mit einer Lackierung in Walnussmusterung mehr Schein als Sein demonstrierte und anschließend mit Schlichtheit überzeugte. In monatelanger Kleinarbeit entfernte ich dafür mehrere Schichten Farbe mit der Heißluftpistole oder mit chemischem Abbeizer. Dann schliff ich endlose Stunden und lasierte das gute Stück farblos, das auch neue Griffe erhielt. Alle vier Möbelstücke stehen auch heute noch in unserem Haus und behaupten ihren besonderen Charme und ihre Individualität zwischen modernen Teilen.

Der Lockruf des Schrankes
Wieder zurück zum Schrank. Möbel im Shabby-Style (oder Vintagelook) kann man auch kaufen, das ist allerdings sehr preisintensiv und nicht individuell. Ich wollte mein eigenes Designerstück: Farbe, Pinsel, kleiner Farbroller und Sandpapier zum Schleifen waren schnell beschafft. Ein größerer Akt war dann noch einmal das Ausräumen des Schlafzimmers, dann gab es aber kein Zurück mehr. Nach einem Tag des Räumens und zwei Tagen des Kratzens, um die Tapete von Wänden und Decke zu entfernen, folgte ich dem Lockruf des Schrankes. Kurzes Anschleifen der Türen und Seiten, dann rollte ich die erste Schicht des sehr gut deckenden Kreidelackes auf.
Die Lackschicht war nach dem Trocknen stumpf, so als hätte das Möbelstück schon Jahrzehnte seinen Dienst versehen und allen Glanz verloren. Zwei weitere Schichten folgten. Wer es total „used“ möchte, nutzt einen dunkleren Ton als Untergrund und überstreicht dann mit dem helleren (oder umgekehrt). Anschließend wird stellenweise der Lack mit Schleifpapier wieder entfernt – künstliche Gebrauchsspuren sozusagen. Darauf verzichtete ich zugunsten einer anderen Shabbychic-Variante: Bedruckung mit Schrift- oder Grafikmotiven. Eine alte Weinkiste – umfunktioniert als Nachtschrank – lieferte dafür die Idee.
Besonders beliebt sind Motive aus Frankreich: romantische Postkarten, historische Werbeschilder oder Schriftzüge. Im Internet findet man davon eine große Auswahl, doch wie bekommt man das nun auf den Schrank? Ein spezieller Transferlack – Photo Patch – aus dem Kreativladen und spiegelverkehrte Ausdrucke aus dem Laser- oder Tintenstrahldrucker – mehr brauchte es dazu nicht.
Den Transferlack großzügig auftragen und dann den Ausdruck mit der bedruckten Seite zum Schrank faltenfrei aufstreichen – fertig. Nach einem Tag Trocknungszeit kam der spannende Moment: Wie lässt sich das gut und flächig klebende Papier rückstandslos entfernen? Ganz einfach: Mit Schwamm und Wasser anweichen, weiter das Papier mit dem Finger vorsichtig abrubbeln. Wenn dabei von dem Aufdruck etwas verschwindet – die Unvollkommenheit macht den besonderen Charme dieser Gestaltungstechnik aus. Nun mussten noch die Türknäufe künstlich altern: ein dunklerer Farbton der Kreidefarbe und Bronzelack mit dem Schwamm aufgetupft. Man kann auch aus dem großen Sortiment an Porzellanknäufen wählen, das es im Handel gibt.
Nach einer Woche Feierabendprogramm von täglich ein oder zwei Stunden war der Schrank im neuen/alten Look fertig. Da immer Trocknungszeiten notwendig sind, muss man mehr Zeit einplanen. Ca. 40 Euro kostete das Material für die individuelle Gestaltung. Davon ist noch genügend für weitere Möbelstücke übrig. Das Durchforsten des Hauses hatte jedoch erstmal keinen geeigneten Kandidaten für den Vintagelook ergeben.
Ein Haus zum Stöbern
Ein wirklich guter Fundort für Möbel, die eine zweite Chance erhalten sollten, ist das Stöberhaus. Hier findet sich alles, was eine Wohnung braucht, nicht neu, aber gut gebraucht. Kommoden oder kleine Tische sind gute Anfängerstücke für die DIY-Aktion. Der Kreidelack deckt auch gut auf MDF-Platten, dem Hauptbestandteil moderner Möbel. Der Auswahl für eigene Kreationen sind damit wenig Grenzen gesetzt. Neben dem Spaß, die eigene Kreativität herauszufordern und auszuleben, ist auch der Gedanke des Upcyclings ein wichtiges Argument: Das bedeutet Wiederverwertung und Nachhaltigkeit. Statt alte Schätzchen einfach auf den Sperrmüll wandern zu lassen, schenken wir ihnen ein zweites Leben als Lieblingsstück. Das spart Rohstoffe, Transportwege und auch Geld im eigenen Portemonnaie. Für kreative und handwerklich interessierte Menschen ist es außerdem eine ausfüllende Freizeitbeschäftigung, mit der man auch anderen eine Freude machen kann.
Besonders beliebt sind alle Varianten von Palettenmöbel: Tische, Sitzecken oder Regale. Wer keine Bezugsquelle für die Paletten hat, kann sie im Baumarkt kaufen.
Ich wollte aber aus dem Vorhandenen schöpfen: Ganz nebenbei entstand noch eine Wanduhr im Shabby Look mit französischem Flair. Vor der Umgestaltung hing das gute Stück im Kinderzimmer und die Zeiger drehten sich auf einem Motiv der Diddlmaus.
Mein nächstes Upcyclingvorhaben: Die Bretter einer Palette, die im Schuppen darauf wartet, zu einem Möbelstück zu werden.
Nützliche Links
Zwei Blogs zum Thema
http://www.shabby-it-yourself.de/
https://www.otto.de/roombeez/shabby-chic-selber-machen/23636/
Interessante Websites mit vielen Tipps
http://www.heimwerker.de/holzwerken/moebel-restaurieren/shabby-chic-selber-machen.html