Shiva wartet geduldig, bis Tierheim-Mitarbeiterin Mandy Puffe den Zwinger öffnet und die Leine am Halsband einklinkt. Selbst den Beißkorb lässt sich der Staffordshire Terrier-Mix willig überstreifen.  Die Hunde in den Zwingern nebenan bellen aufgeregt und wedeln freudig mit dem Schwanz.  Die Hundeleine übt einen besonderen Reiz aus– sie verspricht Bewegung, Abwechslung, Rumtoben. Doch die zwei Fellnasen müssen noch auf ihren Gassigeher warten. Mandy Puffe übergibt Shiva an der Leine an Lena Schmidt, die bereits vor dem Zwinger wartet und mit der Hündin  einen ausgedehnten Spaziergang machen wird.

Shiva und Lena kennen sich bereits  mehrere Monate, den Weg über das Feld sind sie oft gemeinsam gegangen. Liebevoll und ruhig spricht die 23-Jährige die Hündin an, Shiva hört auf jeden Befehl. Die zwei sind ein eingespieltes Team. Keine Spur davon, dass Lena  als Katzenbesitzerin bei ihren ersten Hunderunden erst die Angst  vor Hunden verlieren musste. Respekt hat sie immer noch und das ist völlig in Ordnung.  Tiere hatten immer einen Platz in Lenas Leben: Hamster, Kaninchen, jetzt zwei Katzen. Hunde waren nicht dabei, bevor sie als Gassigeherin begann. Manchmal geht Lena auch an einem Vormittag mit verschiedenen Vierbeinern auf Tour.  Einen Lieblingshund hat die freundliche, offene Blondine nicht. „Ich kann in jedem Tier etwas Gutes sehen. Sie alle haben mir geholfen, Hunde besser zu verstehen“, sagt sie und läuft bin Richtung See. Wenn sie die Schleppleine mitnimmt, dürfen die Vierbeiner auch ins Wasser. Ein großer Spaß, wenn es das Wetter zulässt.

Shiva weiß, wenn sich die Tür des Tierheimzaunes hinter ihnen schließt und sie gemeinsam die Straße überquert haben, dann darf sie rennen, schnuppern, stöbern. All das, was ein Hundeleben eben ausmacht und ein Zwinger nicht bieten kann. Lena Schmidt ist mit Shiva auf dem Feld angekommen. Ein kurzes Stück sind beide gerannt. Auspowern nennt  Lena es, der gemeinsame Spaziergang verläuft dann anschließend ruhiger.  Das braun-schwarz gestromerte Energiebündel Shiva rollt sich auf dem Feld ausgiebig hin und her. Doch so leicht ist der Beißkorb nicht abzuschütteln. Die Gefahrhundeverordnung schreibt vor, dass die ruhige, gutmütige Hündin ihn tragen muss. Auch von der Leine darf Shiva nicht, so bleibt auch Lena immer in Bewegung.

Das Wetter ist beiden egal. Die 23-jährige Studentin kommt auch bei Regen, dann lässt sie sich von ihrem Vater zum Tierheim bringen. Den hat sie mit ihrer Begeisterung für das Gassigehen infiziert und auch Freunde.   Schlechte Erfahrungen hat  Lena bisher keine mit den Hunden gemacht, obwohl sie mehrmals in der Woche zum Lutherstein kommt und nicht alle Tierheimvierbeiner problemfrei sind.  Nicht jeder Hund ist hier, weil Herrchen oder Frauchen krank sind und sich nicht mehr kümmern kann. Manche Besitzer sind auch nach den ersten Wochen überrascht, wie viel Zeit ein Vierbeiner fordert und wie hoch der finanzielle Aufwand sein kann. Andere kommen mit der Erziehung nicht klar. Jeder Hund am Lutherstein hat seine eigene Geschichte und die Chance, ein neues Zuhause zu finden.

Auf den Hund gekommen

Lena Schmidt hat gelernt, auch mit problematischen Hunden umzugehen. Von den Tierheimmitarbeitern bekommt sie dafür Unterstützung und wichtige Hinweise. Sie sagt, mit ein wenig Erfahrung und  Liebe zum Tier lassen sich auch schwierige Situationen bewältigen.  Anfang 2017 beendet Lena ihr Studium der sozialen Arbeit. Dann möchte sie einen eigenen Hund haben, aus dem Tierheim. Das sagt sie ganz selbstverständlich. Welcher es sein soll, weiß sie noch nicht. Auf das Wesen kommt es an, nicht auf die Rasse: „Mein späterer Hund muss sich mit Katzen vertragen, sie gehören schon länger zu mir. Die Entscheidung wird schwer. Ich verliebe mich in jeden Hund. Wenn ich ihn das erste Mal ausführe, bin ich hin und weg.“

Lena möchte künftig nicht nur ihr Leben mit einem weiteren Vierbeiner teilen, sie will mit Hunden arbeiten.  Tiergestützte soziale Arbeit mit Kindern oder psychisch Kranken  stellt sie sich vor.   Die Hunde sind nicht nur ihr Hobby, sie haben ihr berufliche Perspektiven eröffnet.

Shiva ist nach ausgiebigem Spaziergang ruhiger geworden, ihr gesetztes Alter von neun Jahren merkt man ihr an. Drei Jahre davon hat sie bereits im Tierheim verbracht, weil  Auflagen der Gefahrhundeverordnung von ihrem Halter nicht erfüllt werden. Einer Vermittlung hat er bisher nicht zugestimmt, so bleibt für Shiva weiter das Tierheim das Zuhause und die Spaziergänge mit den Gassigehern ein besonderes Erlebnis.

Lena Schmidt ist eine von ca. 500 Freiwilligen,  die in ihrer Freizeit den Hunden Freiraum und Bewegung verschaffen. Von 11 Uhr bis zum frühen Nachmittag sind  die Gassigeher täglich willkommen. Was man dazu braucht, fasst Tierheimmitarbeiterin Mandy Puffe kurz zusammen: 18 Jahre muss der freiwillige Helfer mindestens sein  und sich gern mit den Vierbeinern beschäftigen. Erfahrungen sind nicht nötig, beim ersten Versuch wird auf dem Tierheimgelände unter Aufsicht geprobt. Besonders in der Woche warten viele der Fellnasen darauf, auf eine Spazierrunde mitgenommen zu werden.  Rentner, Schichtarbeiter  und Studenten, die in der Woche tagsüber kommen, sind deshalb gern gesehen. Am Wochenende ist die Zahl der Interessenten für das Gassigehen oft größer als die Anzahl der Hunde.

Gelebte Tierliebe

Für das Tierheim der Stadtwerke Erfurt sind die freiwilligen Helfer eine große Unterstützung, sie ermöglichen den Hunden mehr Bewegung und Beschäftigung. Eine Versicherung über das Tierheim schützt die Helfer.  Die regelmäßige Gassirunde ist ein guter Test, ob man genügend Zeit für ein solches Familienmitglied hat und auch bei schlechtem Wetter Spaß an der gemeinsamen Beschäftigung in der Natur findet.

Was macht ein Gassigeher, wenn der Hund nicht hört oder anders reagiert als erwartet? Manches Tier würde nicht am Lutherstein landen, wenn Hundeinteressenten vor dem Kauf erst einmal probeweise Zeit mit einem Vierbeiner verbringen, ist sich Mandy Puffe sicher. Sie selbst hat inzwischen drei Fellnasen zu Hause, die eine ähnliche Geschichte wie die Tierheimhunde haben, Tierliebe kennt eben keinen Dienstschluss.

Für Lena und Shiva ist der Spaziergang beendet, beide sind geschafft, aber zufrieden.  Wenn Shiva besonders gut hört, gibt es kleine Leckerlis als Belohnung. Die sponsert das Tierheim, denn nicht jeder der Bewohner verträgt zusätzliche Nahrung, mancher benötigt Spezialfutter, so bleiben die zusätzlichen Häppchen unter Kontrolle.

Morgen kommt Lena wieder und vielleicht bringt sie ihren Vater mit, der sich als Rentner auch gern eine bisschen zusätzliche Bewegung  gönnt und schon von Lenas Hundeliebe angesteckt ist…